Christmärkte in deutschen Städten.
Von Walter Schellhas-Dresden.
Selbst in der modernen Großstadt hat sich noch ein Rest von Poesie inmitten der tosenden Brandung ihrer Verkehrszentren für die abgehetzten und verängstigten Seelen erhalten: der Weihnachtsmarkt.
Dieses Stück alten Kleinstadtzaubers, jenes selige Paradies unserer Kleinen und Großen, hat sich in das laute Drängen und fliehende Hasten des modernen Alltags herüberzuretten gewußt.
Die Wiege unsrer heutigen volksmäßigen Weihnachtsfeier als eines wirklichen, abgegrenzten Familienfestes, das jedes Haus für sich im eigenen Schoße begeht, ist der deutsche Protestantismus des 16. Jahrhunderts. Damals entstand unsere weihnachtliche Kinderbescherung beim hellen Scheine der Weihnachtskerzen, die den eigentlichen Kern dieses Volksfestes zu bilden begann. Einen mehrtägigen Christmarkt im heutigen Sinne kannte man damals noch ebensowenig, wie den im strahlenden Lichterglanz leuchtenden Christbaum unserer Tage. Aus den alten süddeutschen Städten, z. B. Ulm, Augsburg u. a., des 15. Jahrhunderts ist uns das Bestehen eines mit der damaligen Sitte der Nikolausbescherung zusammenhängenden Nikolausmarktes (wie auch in Annaberg) bezeugt, zu dem gegen Ende des 17. Jahrhunderts infolge der Verschiebung der Nikolausbescherung (6. Dezember) auf Weihnachten (24. Dezember) ein Christmarkt hinzutrat (in Augsburg bestanden um die Mitte des 18. Jahrhunderts noch beide Märkte nebeneinander).

Krippenfiguren, die Spezialität des Annaberger Nikolaus-Marktes.
Krippe und Figuren von Fr. Hermann Lahl-Annaberg.
Spezialaufnahme für die I. E. S. von Photograph Fritz Hacker-Annaberg.
Der seit altersher in Dresden am Heiligen Abend abgehaltene Markt war sowohl seiner Entstehung wie seiner Dauer nach ein bloßer Wochenmarkt. Hauptgegenstand des Verkaufs waren dort die Christbrote oder "Striezel" (stritzel, striezel=ursprünglich eine zylinder- oder wulstförmige Masse, dann ein Gebäck aus Butterteig in jener Form), deren Feilbietung auf mit Brettern belegten Handwagen erfolgte. Im 16. Jahrhundert erhielt dieser Markt die Bezeichnung "Striezelmontag", woraus zu schließen ist, daß er nicht mehr am Heiligen Abend selbst, sondern am Montag vor dem Fest stattfand. Erst im 18. Jahrhundert wurde aus diesem eintägigen ein mehrtägiger Weihnachtsmarkt. — Ganz ähnlich ist die Geschichte des Freiberger Christmarktes. Den alten Innungsordnungen der Bäcker und Fleischer und den Ratsordnungen über den Marktverkehr zufolge war der am Heiligen Abend abgehaltene Markt ebenfalls nur ein gewöhnlicher Wochenmarkt. Jedoch durften an ihm wie zu den Sonnabendmärkten die auswärtigen Bäcker und Fleischer ihre Waren frei in der Stadt feilbieten, was ihnen sonst nur nach Erwerbung der Innungsmitgliedschaft gestattet war. Die Freiberger Marktmeister-Bestallung vom 9. Oktober 1601 erwähnt neben diesem Weihnachtsheiligabend-Markt, den Jahrmärkten und den Wochenmärkten (Mittwoch, Freitag und Sonnabend) noch je einen Markt zu Neujahr, Ostern und Pfingsten. Jener Weihnachtsmarkt war vor allem ein Brot- und Fleischmarkt, der eine ungeheure Nachfrage der städtischen Bevölkerung nach Lebensmitteln zu befriedigen hatte. In dem uns aus dem Mittelalter wiederholt verbürgten gewaltigen Nahrungsmittelkonsum zum Weihnachtsfest äußerte sich noch ein Rest jener großen, wochenlangen Schmausereien, die unsere germanischen Vorfahren zu ihrer mit Totenkultus und Seelenspeisung verbundenen heidnischen Neujahrsfeier in den heiligen Hainen hielten. Der mehrtägige Freiberger Christmarkt ist ebenso wie der Dresdens und anderer Städte eine Erscheinung viel jüngerer Zeit.

Jene Zeit, also ausgehende 18. Jahrhundert, müssen wir im allgemeinen als den Höhepunkt des Christmarktes, als eine Art Volksfest ansehen. Das Aufkommen und der rasche Aufschwung prachtvoller Ladengeschäfte im 19. Jahrhundert lockte die Kauf- und Schaulustigen weg von der primitiven Budenstadt zu den schon damals oft mit Pomp und Geschmack dekorierten Auslagefenstern. Daß aber trotz dieser Einbuße an Anziehungskraft und Ausdehnung durch die starke Konkurrenz der Läden die Christmärkte im Leben der Städte bis auf den heutigen Tag ihre Existenz behauptet haben, muß uns mit Freude erfüllen, denn es dürften wohl nur wenige sein, die das bunte Bild des alten Christmarktes in der winterlichen deutschen Stadtheimat missen möchten, dieses traute und gemütvolle poesiedurchwehte Bild, wie es zahlreiche gottbegnadete Künstler mit Stift oder Pinsel so eindrucksvoll zu Herzen und Sinnen sprechend festgehalten haben (z. B. Ludwig Richters "Dresdner Christmarkt" und viele andere Darstellungen lokaler Christmärkte). So dürfen wir uns, jung und alt, alljährlich aufs neue der weihnachtlichen Budenstadt erfreuen, in der steifbeinige Bergmänner und rotbackige Weihnachtsengel, Puppenstuben und Festungen, die Arche Noah, Kaspertheater und wildes Getier, Märchenbücher und Bilderbogen, goldene Sterne und silberne Ketten in engem Raume friedlich beieinander hausen und "spottbillig" fleißiger Käufer harren.
Erzgebirgisches Sonntagsblatt
Nr. 52, 26. Dezember 1926
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Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 52, 26. Dezember 1926, S. 1