Annaberger Künstler um 1500.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 27, 4. Juli 1926, S. 1

Die Maler Hans Hesse und Hans von Köln.

Von Dr. Stohmann.

Hans Hesse: Wolfgang als Bergbauheiliger, Buchholz

Kunstwerke, die an der Grenze zweier Kulturperioden entstehen, sind entweder ein Ausklang, eine handwerksmäßige Fortsetzung verknöcherter Tradition, oder sie sind ein Auftakt zur neuen Zeit, etwas Ursprüngliches, Erstmaliges, das auch uns Menschen von heute mit lebendigem Hauch berührt. Als Annabergs Kunst blühte, war gerade Kulturwende; große Möglichkeiten waren also gegeben, und Großes wurde geleistet. Vorüber war die Gotik, die Epoche der mystischen Einstellung, die Zeit, da man die Welt und das Wissen von der Welt verachtete, da man zum ersten nach dem Reiche Gottes strebte und sich schon auf Erden in Gott zu versenken wünschte. Diese großartige Einseitigkeit fand in der Spitzbogenhalle des Domes gewaltigen Ausdruck. Die Baukunst hatte die Führung: Plastik und Malerei hatten nur auszuschmücken. Sie dekorierten das fertige Gebäude mit Malereien an den Wänden, mit zierlichen Fialen und feinem Maßwerk an Fenstern, Türen, Pfeilern und Chorgestühl, mit Standbildern an den Pfeilern. Plastik und Malerei dienten ebenso dem Schmuck des Buches: kunstvolle Elfenbeinschnitzereien zierten den Buchdeckel, zarte Miniaturen begleiteten den Text. Da man von den Dingen der Welt wenig wissen wollte, hatte man auch kein Interesse, die Dinge naturgetreu nachzubilden. Das Antlitz der Heiligen lächelt verklärt, eines wie das andere. Wie Brüder ähnlich lehnen die zwölf Apostel an den Pfeilern der Kirche, alle haben dieselben schlanken Leiber, dieselben überlangen Arme und Beine, die hohen, schmalen Gesichter.

Leider hat das Erzgebirge nur wenig gotische Kunst hervorgebracht. Die Kunst der großen Meister, die um 1240 die Goldene Pforte zu Freiberg und den Lettner zu Wechselburg schufen, fand in dem schwachbesiedelten Gebirgsland keinen Boden. Nur in den beiden Städten am nördlichen Rand des Gebirges, in Zwickau und Chemnitz, und deren nächster Umgebung (Thierfeld, Ebersdorf) regte sich bescheidenes künstlerisches Leben. In Zwickau bewahrt das Ratsarchiv den Codex statutorum, ein Gesetzbuch von 1348, mit Miniaturen, welche die verschiedenen Hinrichtungsarten darstellen. In der ortsgeschichtlichen Sammlung zu Chemnitz befindet sich ein kleiner verstümmelter Crucifixus unbekannter Herkunft aus der Zeit um 1380.

Miniatur zu Zwickau

Betrachten wir eine der Zwickauer Miniaturen, welche die Hinrichtung durch das Rad darstellt. (Siehe Bild.) Wie schonungsvoll nähert der schlanke Henker das Rad dem armen Schächer, der es mit demütig erhobenen Händen empfängt! Mit solcher Ruhe von beiden Seiten ist gewiß keine Exekution vollzogen worden; aber die Kunst der Gotik vermied bewegt jede naturalistische Kraßheit. Jene Menschen waren gewiß hart, das beweisen die unerhört grausamen Todesstrafen, – aber das innere Wesen jener Menschen war weich, voll primitiver Angst vor der übersinnlichen Welt, die mit ewiger Höllenpein drohte. Raubritter beschlossen ein lastervolles Leben im Kloster; der tapfere Markgraf Friedrich der Freidige verfiel dauerndem Trübsinn beim Anblick des Spiels von den zehn törichten Jungfrauen, die von Christus trotz der Fürbitte Marias nicht begnadigt wurden. Aus diesem Geist entstanden die Gestalten der Zwickauer Miniaturen mit ihren verhaltenen Gesten, durch welche selbst die krassen Hinrichtungsszenen stilisiert erscheinen.

Crucifixus zu Chemnitz

Dieselben Merkmale zeigt die gotische Plastik, für welche der Chemnitzer Crucifixus als Beispiel dienen mag. Der körperliche Schmerz des Gekreuzigten spricht aus diesem gotischen Antlitz nicht. Diese müden greisenhaften Züge scheinen vielmehr tiefen Gram über die Sünde der Menschheit auszudrücken (s. Bild). Die Bogenlinien der Stirnfurchen wiederholen sich in den Linien der Rippen, die aus dem mageren Körper heraustreten. Außer diesen Rippen ist kein Detail des Körpers herausgearbeitet; auch die geschwollenen Adern der Arme und Beine, die bereits um 1240 der romanische Künstler von Wechselburg genau nachbilde, hat der gotische Schnitzer von Chemnitz offenbar beiseite gelassen. Wie ganz anders machte hundertfünfzig Jahre später Matthias Grünewalds Kreuzigungsgemälde die Schrecken und Schauer der Passion lebendig, das Meisterwerk der Renaissance im schroffen Gegensatz zur Kunst und Gotik, die solche Naturwahrheit nie erreichte und nicht erreichen wollte.

Dieser Wille der Gotik wird besonders deutlich durch die Tatsache der Goldgrundmalerei, die doch nichts anderes bezweckt, als die dargestellten Personen von der Welt, nämlich vom Hintergrund, loszulösen. Man malte im Hintergrund keine Landschaft, keinen Innenraum, sondern füllte ihn mit einer Deckfarbe aus; so wurden die im Vordergrund dargestellten Personen isoliert. Und man wählte als Hintergrundfarbe Gold; so wurde die Darstellung gleichsam in ein überweltliches Traumland entrückt. Einer der letzten Goldgrundmaler, Hans Hesse, hat seine letzten Lebensjahre in Annaberg und Buchholz verbracht und ist daselbst wohl um 1520 gestorben. Sonst ist über sein Leben wenig bekannt, wir wissen nur, daß er vor 1500 Gemälde für die Zwickauer Marienkirche und später u. a. den Flügelaltar der Chemnitzer Johanniskirche schuf. Die Buchholzer Begräbniskirche bewahrt von seiner Hand einen Wolfgangsaltar, dessen Haupttafel den Heiligen im reichen Bischofsornat darstellt, während seine linke Hand eine Bergmannsaxt hält. Leider hat Hesse bei diesem Alterswerk den Goldgrund aufgegeben und sich bemüht, im Hintergrund eine Landschaft darzustellen. In dieser Landschaft spielen sich die einzelnen Szenen der Auffindung der Annaberger Erzgänge durch „Knappius” ab. Das Landschaftsbild ist offenbar mißlungen, aber köstlich ist die Gestalt des Wolfgang selbst, ein weich geformtes Geschöpf der Gotik, das sich auf dieser Erde nicht wohl zu fühlen scheint. In dieser Formgebung liegt große Kunst, die nur der kindlichen Weltfremdheit des Mystikers gelingt. (Siehe Bild.) Zweifellos wäre die Wirkung des Gemäldes einheitlicher und zwingender, wenn Hesse auch hier den Goldgrund beibehalten hätte. Wer von Hesses Kunst einen reinen Eindruck haben will, kann in der ortsgeschichtlichen Sammlung zu Chemnitz die Altarflügel der Johanniskirche schauen. In diesem früheren Werk tritt uns Hesse als Goldgrundmaler entgegen. Dargestellt sind je zwei Gruppen von männlichen und weiblichen Heiligen, eine der letzteren ist leider zerstört. Unsagbar lieblich treten uns die feinen gotischen Gestalten aus dem Traumland entgegen.

Daß der letzte Goldgrundmaler schließlich seiner eigenen Kunst untreu wurde, nimmt nicht wunder. War doch diese gotische Formensprache um 1500 längst nicht mehr zeitgemäß! Hatte doch der größte aller Goldgrundmaler, Stephan Lochner, der Schöpfer der Kölner „Maria im Rosenhag”, schon um 1540 sich der neuen Kunst zugewandt. Seine Szenenfolge „Marter der 12 Apostel” zeigt in jedem Bilde einen Landschaftshintergrund, den der Meister nach niederländischem Vorbild mit liebevoller Feinmalerei gestaltete. Von den Niederlanden geht die neue Kunst aus. Ihre erste gewaltige Schöpfung ist der Center Altar der Brüder van Eyk. Auch diese niederländische Kunst kann man in Annaberg studieren. In der neuen Sakristei der Annenkirche befindet sich ein kleiner Flügelaltar aus der Eykschen Schule. Auf der Haupttafel ist die Geburt Christi dargestellt, eine zarte Feinmalerei mit raffinierter Beleuchtung, welche sich bis auf die Finger des Christuskindes erstreckt. Das Werk ist indessen kein Erzeugnis einheimischer Kunst, es wurde in den Niederlanden gemalt und nachträglich nach Annaberg importiert. Dieser neuen beobachtenden, charakterisierenden Kunst mußte die Gotik unterliegen; denn die Zeiten waren andere geworden. Der idealistische Schwung des Priesterstandes, der bisher die mystische Religiosität der Massen immer aufs neue genährt hatte, war versiegt. Hatte der große Papst Innocenz 1215 den Händlern das Zinsnehmen verboten, weil es unvereinbar sei mit der christlichen Lehre, so jagte jetzt die Kirche selbst begehrlich dem Peterspfennig nach. Als sie dann im Ablaßhandel den Geldstandpunkt auf die Spitze trieb, da erklärten schließlich die Laien, in Glaubensdingen nur noch dem eigenen Gewissen folgen, nur noch sich selbst verantwortlich sein zu wollen. Diese Tat Luthers war lediglich der Abschluß einer geistigen Entwicklung, die bereits fast hundert Jahre früher mit der Entdeckung des Ich in der Malerei begonnen hatte. Schon die niederländischen Maler hatten sich selbst gefunden, das eigne Ich und das Ich der andern. Darum begannen sie zunächst die Gesten und Bewegungen des Leibes natürlich zu gestalten. Schließlich bekamen auch die Gesichter persönlichen Ausdruck, je nach der dargestellten Situation.

(Fortsetzung folgt.)