Der alte Ritterturm zu Tannenberg.

Von Kadi.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 2 / 120. Jahrgang. 16. Januar 1927. S. 1 – 2.

Wenn man zum ersten Male als Fremder über die gegenüber dem Gasthofe in Tannenberg über die Zschopau führende alte steinerne Brücke schreitet oder wenn man die Dorfstraße von Geyer kommend deren letzte Biegung am Gemeindehof einschlägt, so steht man einem eindrucksvollen massiven und trotzigen Bauwerk gegenüber, wie wohl kaum ein zweites in unserem Sachsenlande zu finden ist. Jeder Fremde wird gern an den Eindruck zurückdenken, welchen das erstmalige Schauen des Turmes hervorgerufen hat. Der Einheimische aber, der täglich und wohl auch mehrere Male vorübergeht, sieht den Turm als ein selbstverständliches Stück Tannenberg an. Die Tatsache, daß das alte schwarz-graue Gemäuer schon seit Jahrhunderten an dieser Stelle steht und sich wenig verändert hat, ist zu einem Gewohnheitsgefühl geworden und damit gibt er sich zufrieden. So ist es auch so manchem noch nicht recht bewußt geworden, was für ein Kleinod der Turm nicht nur für den Ort Tannenberg, sondern auch für unser ganzes Erzgebirge bildet.

Teilansicht von Tannenberg mit dem alten Ritterturm.
(Photo Louis Mehlhorn-Geyer.)

Wir stehen auf der Staatsstraße gegenüber dem Turme. Längs dieser befindet sich eine alte Steinmauer als Brüstung und Schutz gegen den Wallteich, der den Turm umgibt. Im Wasser spiegelt sich dessen Bild wieder, der in seiner zerstörten Krone Vogelbeersträucher trägt. Dahinter ragt die Kirche mit ihrem schönen Turm empor, zur Rechten stehen noch nicht verunstaltete Häuser im erzgebirgischen Baustil: Gasthof, alte Kirchschule und weiter hinten zwischen Laub- und Nadelbäumen die Pfarre. – Welch schönes Bild! Tannenberg, der du dies dein nennen darfst, halte an dieser Stelle einen Augenblick an, freue dich und danke deinem Schöpfer, der dir so ein herrliches Stück Heimaterde gab. – Fragt man nun einen Einheimischen nach dem Zweck, den dieser Turm gehabt hat, so bekommt man in den meisten Fällen eine Erklärung, mit der herzlich wenig anzufangen ist. Es ist dies auch verständlich, weil über die Entstehungsgeschichte des Turmes wenig Klarheit besteht. Infolgedessen kann man nur auf Grund weniger geschichtlicher Anhaltspunkte mußmaßen. Eins steht fest: Der Turm dürfte in den Jahren vom 11. bis 14. Jahrhundert, also zwischen den Jahren 1000 bis 1300 entstanden sein. Als Anhaltspunkt hierfür dient der Standort des Turmes. Er steht im Tale. Wäre er nach dieser Zeit gebaut worden, so hätte man ihn, wie andere Ritterburgen usw., auf Bergeshöhe errichtet. Da nun die Schußwaffen gegen Mitte des 15. Jahrhunderts zum ersten Male im Kriege und zu Belagerungszwecken verwandt wurden, muß also unser Turm zu dieser Zeit bereits gestanden haben. Ein alter Einwohner Tannenbergs, ein Landwirt, erzählte dem Verfasser dieser Zeilen einmal, daß ihm bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts sowohl im Schulunterricht als auch von den im damaligen Rittergut Tannenberg beschäftigten alteingesessenen Familien erzählt worden sei, der Turm habe einerseits als Folterkammer für Eingesperrte, andererseits aber auch den in Tannenberg seßhaften Raubrittern als Unterschlupf und als Lagerort gedient für die von den vorüberfahrenden Kauffahrteiwagen geraubten Lebensmittel und sonstigen Gegenstände. Eins wird uns sofort klar: Wir stehen auf historischem Boden und wenn uns dann noch gesagt wird, daß vom Turm ein unterirdischer Gang sowohl nach der Binge von Geyer, als auch nach den Greifensteinen bez. ins Greifenbachtal führe, so möchten wir gern näheres in Erfahrung bringen.

Ritterturm (links), Kirche und alte Kirchschule.

Der Wunsch, diesen geheimnisvollen Ort kennen zu lernen, wirkt mächtig in uns. Durch das Entgegenkommen der Gemeinde ist es möglich, den Turm durch seinen einzigen Zugang zu betreten. Aber wie groß ist unsere Enttäuschung. Feucht sind die Innenwände, naß tropft es von den Steinen. Verschiedene Steine liegen herum, die Sturm und Regen von der Krone des Turmes haben herunterfallen lassen. Mächtig dick ist die Mauer, wohl gegen 2 Meter, so daß im Innern des Turmes wenig Platz ist. Wir schauen nach oben und bemerken, daß der Turm nach oben dreiteilig ausläuft. Ein wunderlicher Anblick. Der blaue Himmel lacht uns an. Im selben Augenblick rufen aber die den Turmabschluß bildenden Steine ein leichtes Gruseln hervor. Auch sie haben sich schon wieder gelockert und sind im Begriffe, der Anziehungskraft der Erde zu folgen. Schnell verlassen wir das Innere des Turmes und freuen uns an dem sommerlichen Sonnenschein, der uns erwärmt. Im Turme, wohin kein Sonnenstrahl dringen kann, ist es sehr kalt. Doch können wir nicht verhehlen, daß wir eine starke Bitterkeit empfinden, daß dieses alte Bauwerk, und wenn es auch nur totes Gestein ist, welches mehr als 1000 Jahre mit allem was Tannenberg heißt, gute und böse Zeiten, Krieg und Wohlstand und wieder Krieg usw. erlebt hat, welches den Bau der Staatsstraßen, der Eisenbahn gesehen und über welches jetzt des öfteren schon die Flugzeuge hinweggeflogen sind, nicht mehr gehegt und gepflegt wird.

Hören wir nun, was ein Freund des alten Turmes sowohl als auch des Ortes Tannenberg selbst, Herr Oberlehrer Hermann Lungwitz in Geyer, über unseren alten Turm in seinem Buche über „Geschichte und Sage des Rittergutes und Dorfes Tannenberg” erzählt. (Herr Oberlehrer Lungwitz hat das mühsam zusammengetragene Material seinerzeit zu einem Vortrage in der Chemnitzer Volkshochschule benutzt).

Als Denkmal aus uralter Zeit steht der viereckige ungefähr 14 m hohe Turm neben den ehemaligen Rittergutsgebäuden, er ist jetzt noch von einem Wassergraben – von den Ortsbewohnern „Hofwall” genannt – umgeben, der klägliche Rest der einstigen Wasserburg. Widar Ziehnert erzählt in Sachsens Volkssagen: Nahe bei den Rittergutsgebäuden des Dorfes Tannenberg bei Geyer steht ein uralter, viereckiger Turm. Seine starken Mauern sind noch jetzt an die 30 Ellen hoch und von einem Wassergraben umgeben. Viel erzählt man von ihm, aber wenig Zusammenhängendes. In uralten Zeiten soll einmal ein Graf, der Besitzer dieser Gegend, eine große Jagd gehalten und sich dabei verirrt haben und mit seinem Rosse in einen Sumpf gesunken sein. Dem Tode nahe, wäre er noch von den Jägern mit Mühe gerettet worden und hätte zum Andenken den Turm erbaut. Jetzt noch soll in dem Turme der Geist eines der späteren Besitzer spuken, aber warum? weiß niemand. Auch wollen alte Holzhacker und Bergleute den Baum wissen, wo die Seele dieses unglücklichen Spukers eingespundet sein soll. Es wäre sonst ein eiserner Reifen um den Baum gelegt gewesen, um die Seele recht fest zu halten, aber Holzdiebe hätten zuletzt auch den Reifen gestohlen. Der betreffende Baum wurde die „Hörnigbuche” genannt und war hohl.

Urkunden über die Zeit der Erbauung des Turmes, welcher Paßklausenturm genannt wird, sind nicht vorhanden. Nur Schlüsse können wir ziehen, wozu uns die Stelle, an welcher der Burgturm errichtet wurde, einen Fingerzeig gibt. Der Erbauer kann das Beschießen seines Turmes gar nicht in Erwägung gezogen haben, sonst hätte er die unmittelbare Nähe eines turmhohen Hügels als Anlageplatz vermieden. Nun kamen die Schießwaffen im Kriege und zu Belagerungszwecken gegen Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in Gebrauch, der Bruderkrieg liefert hierzu ein eklatantes Beispiel. Der Turm zu Tannenberg als Paßklause dürfte die Feuerprobe zuerst bei einem Hussiteneinfall bestanden und in derselben seine hölzernen Anbauten verloren haben. Ziskas fanatisierte Scharen hatten den Kamm des Erzgebirges überklettert und hielten im Meißner Lande blutige Einkehr. Im Jahre 1427 waren sie in Schlettau und bei ihrer Wiederkehr am 29. August 1429 äscherten sie das Städtlein trotz der tapferen Gegenwehr der Bürger vollständig ein – und in demselben Jahre sind sie in Zschopau. Der Weg dem Zschopaufluß entlang war ihnen vorgezeichnet, da es keine andere Straße gab. Daß diese wilden Gesellen die Paßklause in Tannenberg und die vorhandenen Gehöfte unbehelligt ließen, wer könnte dies glauben! Auch unser Tannenberg wird unter den zerstörenden Händen in Rauch und Flammen aufgegangen sein. Mit der Paßklause wurde die Burgkapelle zertrümmert, denn daß eine solche vorhanden war, ergeben die im Schutte der Burg 1770 aufgefundenen Überbleibsel einer zerbrochenen Glocke.

(Schluß folgt.)