Der Scheibenberger Marktplatz vor 100 Jahren

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 23, 6. Juni 1926, S. 1

Ein ganzes Jahrhundert zurück versetzt uns unser Bild. Einen Festtag läßt es uns mit erleben und es überbringt uns Kunde von manchem, an das sich günstigstenfalls die ältesten Einwohner noch schwach entsinnen können.

Sinn für Ordnung unserer Vorväter verrät die planmäßige Anlage des Marktplatzes, dessen Häuser ausnahmslos nach dem Jahre 1740 errichtet worden sind. Dort, wo heute das Rathaus im schmucken Farbenkleide prangt, befand sich einstmals das Röbertsche Wohnhaus, das vor 30 Jahren von der Stadtverwaltung angekauft und abgebrochen wurde. Links daneben sehen wir das jetzige Hotel „Sächsischer Hof”, das heute um ein Stockwerk höher ist und viele Generationen hindurch sich im Besitze der Familie Jäger befindet. Einstmals waren in ihm die städtischen Verwaltungsräume untergebracht. An der oberen Marktseite grüßt uns die Apotheke als stattlichstes aller Gebäude auch heute noch in seiner damaligen Gestalt, dagegen haben die drei Nebenhäuser eine kleine Veränderung erfahren, insbesondere sind sie heute ihres trauten Holzfachwerkes entblößt. Die übrigen Gebäude erkennen wir alle wieder. Majestätisch erhebt sich im Hintergrunde die St. Johanniskirche, wohl der einzige Zeuge von Scheibenbergs Gründungszeit. Freilich hat sich das Gotteshaus im Wandel der Zeiten verändert. Erst 1774 erhielt es den jetzigen massiven Turm.

Verfolgen wir das Bild weiter, so nötigt uns die Parade der Kommunalgarde oder des Schützenkorps das größte Interesse ab. In schmucker weißhösiger Uniform, mit „Ober- und Untergewehr” angetan, folgen sie den Befehlen ihres berittenen Hauptmanns und haben mit ihrem Aufzuge ein ganzes Teil Einwohner auf die Beine gebracht. Wenn die heutige Schützengesellschaft nur sportliche Zwecke verfolgt, so handelte es sich damals um rein praktische Ziele. So ist in den „Bemerckungen über den Zweck des Schützen-Corps” vom Jahre 1817 folgendes zu lesen:

„Das Schützen-Corps ist eine von dem Staate angeordnete Gesellschaft waffenfähiger Staatsbürger, welche durch zu erlangende Uebung in den Waffen fähig sein sollen auf Erfordern, und da nötig, mit den Waffen nicht nur ihren eigenen Herd und Wohnort, sondern auch das Vaterland selbst zu vertheidigen, insbesondere zu polizeilicher Sicherstellung des Landes in Kriegs- und Friedenszeiten, alles nur mögliche beyzutragen. Da solchem nach das Vaterland von diesen Städtischen Schützen-Corps im Nothfall Hülfe erwartet, so liegt es am Tage, daß es für jeden Staatsbürger ehrenvoll ist, Mittglied einer solchen Gesellschaft zu seyn.

1.) Hat das Schützen-Corps in Abwesenheit eines regulären Militairs, die Wachten, wenn es, und wo es nöthig ist, zu besetzen, Patrouillen zu geben, Visitationen zu halten, Beystand in Feuers- und Waßers-Gefahr zu leisten, Gefangene aller Art zu transportieren und rescortieren, wichtige Sauvegarden zu bestellen, bey Executionen die Wachten zu geben, bey Volcksauflauf und Volcksaufständen den Obrigkeiten die erforderliche Assistenz zu leisten, hierüber noch in Kriegszeiten Gewaltthätigkeiten abzuwehren und den Ablieferungen Sicherheit zu gewähren.”

Die Zugehörungen zum Schützenkorps, sowie die Beschaffung der Uniform und der Waffen war im übrigen Pflicht jeden Bürgers, doch durfte kein Schütze eine „über 2 Loth schießende Büchse” besitzen.

Hauptmann des Korps, das schon seit 1774 „konfirmierte Artickel” besaß, war seinerzeit der Stadtschreiber und Notar Wilhelm Christian Leupold; ihm unterstanden „einige Lieutnants, 1 Feldwebel, 4 Unteroffiziere, 4 Gefreyte und 72 Gemeyne”.

Betrachten wir noch einmal das Bild, so sehen wir mitten auf dem Marktplatze ein winziges Häuschen stehen: die Feuer- und Gewitterwache. Vor ihm befinden sich die Sturmfässer, das waren dauernd mit Wasser gefüllte Tonnen, die bei ausbrechendem Schadenfeuer von den aus Schützen bestehenden Wachmannschaften schnellstens zur Brandstelle transportiert wurden. Das Haus wurde, da es der Erfüllung seines Zweckes nicht mehr gewachsen war, im Jahre 1868 abgetragen. Unweit davon sehen wir eine junge Linde, von einem Schutzgitter umgeben, die sich heute zu einem mächtigen Baume entwickelt und nebst ihren später angepflanzten Schwestern dem Marktplatze ein anmutiges schattenspendendes Laubdach gegeben hat.