Die alten Erzgbirgsübergänge.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 3, 126. Jahrgang, 15.01.1933, S. 1-2.

Von L. Ger-Augustusburg.

(2. Fortsetzung und Schluß.)

Der Hauptzugang zu dem Übergange war von dem Knotenpunkte Zschopau aus die Straße über Annaberg. Von Preßnitz lief die Straße weiter über Kaaden nach Saaz — und das ist im Zeitengange bis heute nicht viel anders geworden.

Das Bestehen der Übergangsstraße läßt sich bis auf das Jahr 1296 zurückführen. Damals reiste König Wenzel II. von Böhmen über den Preßnitzer Paß, um mit dem deutschen König Adolf von Nassau im Kloster Grünhain zusammenzutreffen. 1367 zog Karl IV. an Preßnitz vorüber in das Vogtland und 1401 befahl ein Böhmenkönig, und wiederum war es ein Wenzel, daß die Straße von Saaz über Kaaden nach Preßnitz und gen Meißen den anliegenden Städten und ihren Bewohnern „ewiglich” als Verkehrsstraße dienen solle.

Kaaden, an der Eger gelegen, gehört zu den ältesten Städten Böhmens; es war vor den Hussitenkriegen ein Handelsort von großem Wohlstande. Zu Ende des 13. Jahrhunderts, als die deutschen Fürsten, die mit König Adolf unzufrieden waren, sich in Kaaden zu einer Beratung versammelten, belebten den Preßnitzer Paß. Pracht und Glanz. Prunkvolle Fürstenzüge hat damals das kleine Städtchen Preßnitz gesehen, dieses Preßnitz, das später, mit dem Aufkommen des Bergbaues zur freien Bergstadt aufrückte und nach dem Erlöschen des Bergsegens die Musikantenstadt wurde, die zahllose „Wiener Damenkapllen” in die Welt geschickt hat.

Im Jahre 1534, als in Annaberg ein großer Fürstenkongreß tagte, der wegen dringender, das römisch-deutsche Reich bedrohender Kriegsgefahr mit dem in Kaaden weilenden Kaiser Ferdinand verhandeln wollte, ging ein starker Botenverkehr über Preßnitz. Den Boten folgten bald die Fürsten; sie mußten sich nach Kaaden begeben, denn auf Botenschaften reagierte Ferdinandus unbefriedigend.

Schreckliche Zustände herrschten um Preßnitz im dreißigjährigen Krieg. Nach der Schlacht bei Lützen gingen auf dem Rückzuge kaiserliche Truppen über das Erzgebirge, und wiederum kamen die Kaiserlichen, als sie 1634 von Böhmen her erneut in Sachsen einbrachen. Dann wieder zog der Schwedengeneral Königsmark über Annaberg und Preßnitz nach Böhmen, und seinem Rückmarsche, der auch wieder über Preßnitz ging, folgte Banér, der nachher Chemnitz heimsuchte. Und mit Banér hatte Torstenson, der an Händen und Füßen gelähmte und trotzdem so unheimlich tätige Kriegsgewaltige, den Preßnitzer Paß als Übergangsstelle gewählt.

Dem Zuge dieser Feldherren folgte aus Böhmen der Geberal Wrangel und nach ihm erschienen kaiserliche und bayerische Truppen bei Preßnitz. Um das Jahr 1642 hatten sich die Schweden des Preßnitzer Überganges vollständig versichert und wüteten bald diesseits, bald jenseits des Gebirges. 1647 erfolgte für den dreißigjährigen Krieg und für Preßnitz die letzte Gebirgsübersteigung durch Kriegsvölker und noch einmal waren es die blau-gelben Heeresfahnen der Schweden, die den verwüsteten Flecken umflatterten.

Die Silberadern, die das Erzgebirge durchzogen, liefen von Freiberg auf Marienberg zu und nach Annaberg und Joachimsthal. Seitlich sprang eine mächtige Ader bei Schneeberg auf. Bei Annaberg, am Pöhlberge und am Schreckenberge, war der Bergsegen ungemein reich, aber auch um Schneeberg und bei St. Joachimsthal wurde das Berggeschrei fabelhaft laut. — Wo es erklang, wuchsen die Städte und es mußten Wege gebaut werden. Herzog Heinrich zu Sachsen ließ 1521 den Weg von Annaberg über Oberwiesenthal nach Sankt Joachimsthal zu einer verkehrsfassenden, regelrechten Landstraße herrichten. Die Straße übersteigt das Gebirge in 1100 Meter Höhe. Die neue Straße hat von früheren Kriegsnöten nichts und von späteren wenig gespürt; nur der siebenjährige Krieg streifte sie, sonst lag sie friedlich.

Nach St. Joachimsthal, der silberberühmten Stadt, der Heimat des Talers, wies auch der Rittersgrüner Paß, der, von Schwarzenberg herkommend, als ungepflegter Pfad schon im 12. Jahrhundert über das Gebirge in das Wistritztal und den böhmischen Sedlitzgau zielte. Als die an der Wistritz in einem engen, steilen Tale angelegte Stadt St. Joachimsthal um 1517 rasch aufblühte, wurde die Rittersgrüner Straße für den größeren Verkehr eingerichtet; sie stieg von Oberrittersgrün über die heutigen Wegpunkte Goldenhöhe und Försterhäuser; ihr Gipfelpunkt lag 1020 Meter hoch. Heutigentags dient die Straße dem Verkehr zwischen Rittersgrün und Gottesgab. Natürlich haben die Schweden, die es auf die reiche Stadt Joachimsthal arg abgesehen hatten, auch die Rittersgrüner Straße schwer belästigt.

1813, im August, sah die Straße österreichische Truppen auf dem Vormarsch gegen Napoleon Bonaparte.

Am wichtigsten wurde von den westlich des Fichtelbergs ziehenden Übergangsstraßen die Straße, die von Schwarzenberg über den Gipfelpunkt Platten nach Lichtenstadt und ins schöne Egerland hinabstieg. Ein Zuführungsweg erreichte diese alte Straße von Leipzig her über Altenburg, Zwickau und Klösterlein Zelle bei Schwarzenberg. Kaiser Friedrich I., Barbarossa, der oft in Altenburg residierte, ließ der Straße alle mögliche Pflege angedeihen, weil er sie vielmals bereiste, wenn er von Altenburg dem Egerlande, das ihm gehörte, zustrebte. Die Schutzburg Hartenstein mit ihren Vorwerken Stein und Isenburg und weiterhin die starke Burg Schwarzenberg behüteten die Egerländer Straße.

Ein hochgelegter, abkürzender Weg nach Lichtenstadt entstand ausgangs des 17. Jahrhunderts; er wurde eine Poststraße, die von Leipzig über Zwickau, Schneeberg, Eibenstock, Johanngeorgenstadt, nach Platten zog, wo sie auf 900 Meter Höhe kam. Von Platten lief sie bergab in den Egerbezirk; von Eibenstock schickte sie über Wildenthal und Hirschenstand einen Seitenstrang nach Karlsbad. Alle diese Straßen bestehen noch, aber sie sind teilweise verlegt worden, sind, namentlich in Böhmen, längst unbedeutend geworden und in der neueren Zeit arg verkümmert. Kriegslärm ist über die Hochstraßen des westlichen Erzgebirges wohl auch gekommen, im ganzen gesehen aber war die Hauptstraße über die „Platte” ein ruhiger, vielbefahrener großer Handelsweg in der langen Zeit vom 12. Jahrhundert bis in die Tage, wo die ersten sächsischen Eisenbahnen sich in den Erzgebirgstälern nach der böhmischen Grenze hin vorschoben. Nur in den Zeiten der Evangelischenverfolgung mag es um den Plattenberg herum großes Elend und schwere Bedrückung gegeben haben. Kaiser Ferdinand III. vergaß bei seinen Katholisierungsbemühungen auch die kleinen Orte nicht, die weltvergessen auf dem Rücken des Erzgebirges lagen. 1653 vertrieb der Kaiser den letzten Rest der Evangelischen aus Böhmen.

Der Wanderer unserer Tage trifft im sächsischen Erzgebirge zuweilen auf eine feste, übergraste Straße, die in grünen Kurven zwischen herrlichen Waldwänden dem Gebirgskamm zustrebt. Geheimnisvolles Waldweben liegt über dem vereinsamten Wege. Der Wanderer geht auf einer der verlassenen Heerstraßen. Wird er sich in der heiligen Ruhe, die ihn umgibt, vorstellen können, daß einst unter Fuhrmannsruf und Peitschenknall Tausende von Wagenzügen auf dieser Straße einem Erzgebirgsübergange zufuhren oder von ihm herabkamen? Wird er daran denken, daß in vergangenen Jahrhunderten die Kriegsfurie immer und immer wieder über diesen jetzt so unberührt liegenden Straßengrund tobte? Und daß die tapferen Altvordern alle Gräßlichkeiten, die das Kriegsrasen verübte, immer und immer wieder auszugleichen und zu vergessen suchten?

Wenn der Reisende sich solchen Vorstellungen hingeben kann, dann wird er im Weiterwandern dahinschreiten, als ob er durch einen Tempel ginge, und von der freien Kammhöhe sinnenden Blickes auf den Zug der alten Straße zurückschauen. Heil dem Wanderer, dem nach solchem Sinnen neue starke Heimatliebe in die Seele zieht.