Die Annaberger Straßennamen.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 21, 23. Mai 1926, S. 6

Heimatkundliche Plauderei von Emil Finck.

(Fortsetzung.)

Die Heiligennamen Andreas, Johannes, Marie und Michael erinnern an Fundgruben im Stadtgebiete. Von „St. Andreas” steht noch das Huthaus auf ansehnlicher Halde vor der westlichen Mauer des Friedhofs. Auch die Berggebäude des „St. Michaelis-Erbstollen” an der Kleinrückerswalder Straße sind trotz baulicher Veränderungen noch zu bestimmen. Von den beiden anderen aber sind sichtbare Reste nicht mehr vorhanden.

Auch von dem ausgedehnten Annaberger Hüttenbetriebe im unteren Sehmatale sind beinahe alle Spuren verwischt. Das Tal hat früher „Hüttengrund” geheißen, eine Bezeichnung, die sich noch im Schilde einer Frohnauer Schankwirtschaft erhalten hat. Leider ist der sehr bezeichnende Name, als der Hüttenbetrieb eingeschlafen war und die Anschauung verloren ging, der Abschleifung anheimgefallen, und sodann ist auch die stark abgeblaßte Bezeichnung „Im Grunde” (wohl seit 1879) amtlich geführt worden. Demzufolge wird es heutzutage schon gar manchem Annaberger schwer, eine einigermaßen faßbare Vorstellung von dem Umfange und der Bedeutung des ehemaligen Hüttenwesens zu gewinnen. Er neigt vielmehr meist zu der irrigen Annahme, daß jener Betrieb auf das ziemlich eng begrenzte Gelände an der „Talstraße” beschränkt gewesen sein müsse, weil dort ja jetzt noch die „Hüttenmühle” (5) stehe und übrigens auch der „Hüttensteig” dorthin weise. Es wird dabei freilich übersehen, daß solches Gebiet samt der Mühle noch bis zu Ende des Jahres 1871 gemeinderechtlich nach Kleinrückerswalde gehörte, und daß man sonach dort die „Kleinrückerswalder Hütten” zu suchen haben würde, in denen unter anderem von 1649 bis 1687 ein Blaufarbenwerk betrieben worden ist. Die Hüttenmühle nannte man übrigens damals und auch später noch „Farbenmühle” oder auch „Kobaltmühle”.

Als die vornehmste Betriebsstätte im Berg- und Hüttenwesen galt aber die landesherrliche Münze. Wie stolz und froh die Annaberger darob waren, eine solche Verwertungsstätte des Edelmetalls am Orte zu besitzen, kommt dadurch zum Ausdruck, daß nicht nur das Stadtviertel, in dem sie stand, als „Münzerviertel” bezeichnet ward, sondern daß außerdem noch zwei der ältesten Straßenbenennungen auf sie aufmerksam machten: die Münzergasse und der Münzberg. Auch diese beiden Namen sind freilich mit der Zeit umgestaltet worden: in Münzgasse und Berggasse. Im ersten Falle hat das wenig zu bedeuten; denn das Münzamt stand ja an ihrem Eingange (Nr. 1 und 3) unmittelbar neben der Bergkirche. Dort ist’s verblieben, bis im Jahre 1558 Kurfürst August alle sächsischen Münzstätten einziehen und zu einem Landesmünzamte zu Dresden vereinigen ließ.

Anders im zweiten Falle. Der Münzberg wurde (wohl 1865) stillschweigend zur „Münzberggasse” gemacht und trug diese Bezeichnung bis zum Jahre 1879. Von dem wohlklingenden Namen hat bedachtlose Vorliebe für kurze Sprachformen damals den sprechenden Kopf abgeschnitten, anstatt das nicht erforderliche Anhängsel wieder fallen zu lassen. So wurde „Berggasse” draus. Verwunderlich ist, wie solche Verstümmelung unbeanstandet hingenommen werden konnte! Gerechtfertigt wäre ja ein Einspruch schon wegen des äußerlichen Umstandes gewesen, daß doch in Annaberg schwerlich irgend ein Fremder die Berggasse im tiefstgelegenen Stadtteile vermuten dürfte.

Sicherlich bedarf es auch heute nur einer Anregung, um eine der alten Bezeichnungen wieder zu Ehren zu bringen. In dankenswerter Weise sind ja gerade dort bereits zwei kurze Straßenzüge im Sinne heimatkundlicher Bestrebungen als Steigergasse und Häuergasse benannt worden. Die letztere ist unschwer als Kirchweg der von Frohnau zur Bergkirche heraufziehenden Bergleute zu erkennen.

Es kommt sodann noch eine Reihe von 17 Namen in Betracht, auf deren Entstehung die ansässigen zünftischen Berufsstände bestimmenden Einfluß gezeigt haben. Hauptsächlich sind das diejenigen gewesen, die sich mit der Herbeiführung und Zubereitung von Lebensmitteln befassen: die sogenannten Küchengewerbe. Unter ihnen ist wiederum an erster Stelle das Handwerk der Fleischer aufzuführen, weil dessen der öffentlichen Aufsicht unterstellte Hantierung ja für ein ganzes Stadtviertel bezeichnend geworden ist. In diesem lagen, eine ununterbrochene Reihe bildend, die Fleischbänke (im Rathause), die Garküche (sogenanntes hinteres Rathaus), der Fleischerplatz als Standort für Landfleischer bei Wochenmärkten, die Fleischergasse und der ursprünglich städtische „Kuttelhof”, nach dem der Schlachthofplatz benannt worden ist.

Gleichfalls im Fleischerviertel gelegen oder ihm wenigstens zuzuzählen sind die Korngasse, der Mühlweg und dessen Fortsetzung, der Gärtnerweg, sowie in etwas anderer Lage die Brauhausgasse und die Malzgasse. Eine „Beckengasse” (oder Bäckergasse) hat’s wohl nur um deswillen in Annaberg nie gegeben, weil die im Rathause befindliche Brotbänke allseitig frei am Markte gelegen war und eines besonderen Zugangsweges mithin entbehrte.

Gleiches gilt im allgemeinen auch für die von anderen Berufsständen abgeleiteten Namen. Solche führen die beiden Badergassen, die Tuchmachergasse nebst Scherbank und Farbegasse, die gleichfalls noch auf leibliche Bedürfnisse der Bevölkerung hindeuten, sowie die zwei Schmiedegassen, der Büttnerplatz und der Töpferweg.

Darunter zweimal Doppelnamen! Das Vorhandensein zweier Schmiedegassen spricht dafür, wie sehr der Bergmann einer beständigen Hilfsarbeit des Schmiedes bedurfte, der ihm Hacke und Schaufel, Schlägel und Setzeisen, Axt und Barte, Bohrer und Brechkeil — kurz: allerhand Gezäh anfertigte oder immer wieder härtete und schärfte, sowie alles gangbare Zeug mit herstellen half. Wesentlich anders ist der Sachverhalt bei den Badergassen. Anscheinend trifft die Bezeichnung nur für die untere derselben zu, weil lediglich sie an der 1515 errichteten „großen Stadtbaderei” (6) vorbeiführte. Und dennoch besteht auch der Name für die Obere Badergasse zu Recht. Sie ward freilich ehedem nicht als ein Weg für sich, sondern nur als oberes Stück der vor geschlossener Stadtmauer umbiegenden Badergasse angesehen, deren Enge schwerfällig gebauten Wagen das Umkehren auf der Stelle ja sehr erschwerte. Und so veranschaulicht dieser Doppelname eine jetzt fast verwischte Vorstellung von den Verkehrsschwierigkeiten in alten, von Schutzwehren eingeengten Städten.

Besonderer Beachtung wert ist noch der Töpferweg, weil er an ein in Annaberg heimisch gewesenes Kunsthandwerk erinnert, das durch seine eigenartigen Erzeugnisse bemerkenswerten Ruf erlangt hat, seit langer Zeit freilich erstorben ist. Etliche der recht selten gewordenen prunkhaften Annaberger Tongebilde von ansehnlichem Werte sind Eigentum des Geschichtsvereins geworden und stehen im Erzgebirgsmuseum zur Schau. Über sie und über das Töpfergewerbe überhaupt gibt der 1909 erstmalig herausgegebene „Führer” durch das genannte heimische Museum weitere Auskunft. Der Wegname aber hat Beziehung zu den „Töpferhäusern”, die am Frohnauer Tore außerhalb der Stadtmauer standen und teilweise noch vorhanden sind. Solche Töpferhäuser gab’s früher vor allen Toren der Stadt: die bedeutendsten vor dem Buchholzer (an der jetzigen Scheibnerstraße) und dem Böhmischen Tore (Köselitzplatz). Die abgeschiedene Lage der Werkstätten war wegen der Brandöfen in Rücksicht auf die den Schindeldächern der Umgebung drohende Feuersgefahr geboten.

Beim Überschauen der Namen dieser Reihe wird ersichtlich, daß außer vielen ansehnlichen Kleingewerben die für Annaberg von größter Bedeutung gewordenen Industriezweige der Bortenwirker oder Posamentierer, der Band- und Knopfmacher, Zeugweber, Seidenwirker, wie auch die Spitzenklöppelei in der Straßenbenennung unberücksichtigt geblieben sind. Darob braucht man sich jedoch kaum zu verwundern. Sie alle waren ja hier nicht an besondere Örtlichkeiten gebunden und erregten auch wenig — etwa nur die Gerberei ausgenommen — durch auffällige Betriebsanlagen die allgemeine Aufmerksamkeit.

(Fortsetzung folgt.)

5) Das Gelände auf dem sich jetzt das Ferngaswerk befindet.
6) Auch „obere Badstube” genannt (Hausnummer 12).