Die Totenbretter im Böhmer- und Bayrischen Wald.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 126. Jahrgang, Nr. 48, 26. November 1933, S. 5

Von G. Herrmann, Dresden.

Eine eigenartige Sitte der Totenehrung und des Gedenkens an die Toten herrscht im Böhmer- und Bayrischen Wald in den Wäldnern. Hier wird der Tote bis zur Beerdigung auf ein Brett gelegt. Nach 3 Tagen kommt er in den Sarg. Das Brett aber, auf dem er die 3 Tage über geruht hat, wird an einem häufig begangenen Wege, an Kapellen oder Waldungen, dem Toten zum Gedächtnis und zur Ehre aufgestellt — das sind die Leichen- oder Totenbretter, die man auf einer Wanderung durch den Böhmerwald und auch im Bayrischen Wald allenthalben antrifft.

Die einfachste Form weist die Sitte dort auf, wo das Totenbrett ohne jede Inschrift und Ausstattung an einem Wege zum Dorfe niedergelegt wird. Weiter geht man schon in Gegenden der Oberpfalz, wo die Bretter den Namen des Verstorbenen tragen. In dem größten Teile des Waldgebietes treffen wir ganze Gruppen von Totenbrettern beisammen, die vom Tischler, Maler und Holzschnitzer kunstvoll hergerichtet worden sind.

Totenbretter im Graflingertal (Bayrischer Wald) am Eingang der Kapelle.

Sie findet man unter Baumgruppen, an Kapellen, bei Gehöften, an Kreuzwegen; dort sind sie senkrecht in die Erde gesteckt oder an Wänden angenagelt worden und weisen neben einiger Malerei den Namen des Verstorbenen, Stand, Geburts- und Todestag auf und schließen mit einem frommen Vers. So schrieb ich mir in Millik von einem Totenbrett am Wege folgendes ab: „Auf diesem Brette hat geruht bis zu seiner Beerdigung Andreas Zellner, Ausnehmer aus Millik, gestorben am 28. Jänner 1930 im 68. Lebensjahre. Ihr Trauernden stillt die Tränen und hemmt das Jammern und Sehnen. Wer wollt verzagend erbeben? Das Grab ist das Tor zum Leben.” An der Wand eines Gehöftes in Gotteszell zählte ich 95 Totenbretter, von den einfachsten bis zu den künstlerischsten Formen, aus mehr als 4 Jahrzehnten. Ergreifend ist es, wie in Roseggers Erzählung: „Wie der Meisensepp gestorben ist”, der sterbende Bauer Abschied von den Seinen nimmt, wie er seine letzten Anordnungen trifft und dabei auch an das Totenbrett denkt. Er sagt: „Gebt mir recht auf den Brunnen Obacht. Und daß ich nicht vergeß, die schwarzen Hosen und das blaue Jüppel weißt, und draußen hinter der Tür, wo die Sägen hängen, lehnt das Hobelbrett; das leg über den Schleifstock und die Bank, für 3 Tag wirds wohl halten. Morgen früh, wenn der Holzjosel kommt, der hilft mich schon nauslegen. Was unten bei der Pfarrkirch mit mir geschehen soll, das weißt schon selber. Meinen breiten Lodenrock und den Hut schenk den Armen.” Und als er dann gestorben ist, heißt es: „Endlich richtete sich die Häuslerin – die Witwe – auf, trocknete ihre Tränen und legte 2 Finger auf die Augen des Toten, dann taten sie dem Meisensepp festtägige Kleider an, trugen ihn hinaus in die Vorlauben und legten ihn auf das Brett.”

95 Totenbretter an einem Gehöft bei Gotteszell (Böhmerwald). (Photos: G. Herrmann-Dresden.)

Sicher ist das Brett des Meisensepp nach einiger Zeit auch schön verziert und bemalt, mit seinem Namen und einem frommen Verschen versehen, vor dem Dorfe aufgestellt worden. Die Verschen auf den Totenbrettern sind von einer rührenden Innigkeit. So heißt es auf einem: „Mein Weib und Kind muß ich verlassen, und ich sie nicht mehr sehen kann. Ich werde reisen die Himmelsstraßen, dort bekomm ich meinen Lohn. Ich bitt jeden noch um ein Gebet, der hier vor meinem Denkmal steht.” Zuweilen ist auch Witz und Humor mit untermischt, wenn die heimgegangene Gattin ihrem Manne zuruft: „Weine nicht, lieber Mann, nimm dir eine andre an.”

Das schlichte Volk, wie es denkt und fühlt und hofft, spricht zu uns aus den Verschen der Totenbretter. Und diese selbst sind Zeugen von dem feinen Zug in dem Gemütsleben der Wäldler, von der treuen Anhänglichkeit an ihre Verstorbenen.