Ehrenfriedersdorf vor 30 Jahren.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 50, 10. Dezember 1933, S. 1-2

„Kleinigkeiten” aus der alten Sauberg-Stadt, nach einem kurz nach 1900 erschienenen Adreß-Buch bearbeitet von Karl-Hans Pollmer.

Kurz nach 1900 ist im Verlag von Otto Heerde in Ehrenfriedersdorf ein kleines Buch erschienen: „Adreßbuch der Stadt Ehrenfriedersdorf, verbunden mit Fremden-Führer. Nach amtlichen Unterlagen bearbeitet von Otto Heerde, Ehrenfriedersdorf.” Dieses Büchlein enthält manch interessante Notiz und Angabe. Es ist geradezu erstaunlich, wie vieles und was alles sich in den vergangenen 30 Jahren in Ehrenfriedersdorf sich geändert hat.

Es ist in den Jahren 1900 bis 1933 sehr vieles anders geworden, so vieles, daß man beim Buchblättern des genannten Buches glauben könnte, man habe Urkunden und Zeitberichte vor sich, die ein Jahrhundert oder mehr zurückgehören. Andererseits aber enthält das Adreßbuch noch viele Namen, die auch heute noch in Ehrenfriedersdorf bekannt sind. Es ist ein eigenes In-einander-Gehen, das aus dem kleinen Büchlein hervortritt, ein Zusammenklingen verschiedener, voneinander entfernter Zeiten. Mancher aus Ehrenfriedersdorf und aus anderen Orten unserer obererzgebirgischen Heimat wird dies und jenes in den dann folgenden Auszügen aus dem genannten Adreßbuch finden, dessen er selbst sich noch lebhaft entsinnen kann.

Erinnerungen werden wach werden, Vergangenes und Gegenwärtiges werden eins sein; und solche Stunden im Leben, wo das Gestern in das Heute herüberfließt, sind immer die schönsten. Das kleine Büchlein von Ehrenfriedersdorf um die Jahrhundertwende ist eins von denen, die solche Stunden zu schenken vermögen.

Unter der Überschrift „Verkehrs-Verhältnisse” ist zu lesen: „Ehrenfriedersdorf ist Endstation der Linie Wilischtal-Ehrenfriedersdorf nebst Zweiglinie Thum-Oberherold der Königl. Staats-Eisenbahnen. Die Bahnverbindung wird in nächster Zeit durch die im Bau begriffenen Linien Ehrenfriedersdorf-Geyer-Schönfeld und Ehrenfriedersdorf-Thum-Meinersdorf günstiger. Der neue Bahnhof kommt in Mitte der Stadt zu liegen. Der jetzige Bahnhof ist 10 Minuten vom Marktplatz entfernt.”

Die Bahnlinie, wenigstens das Teilstück Ehrenfriedersdorf-Oberherold, nach Wilischtal besteht nicht mehr. Ihr Verlauf ist aber, wen man die Straße nach Herold hinuntergeht, noch gut zu erkennen. Früher sah man das noch besser; in 10 Jahren oder vielleicht auch schon früher wird nichts mehr zu sehen sein.

Der neue Bahnhof von Ehrenfriedersdorf liegt zwar näher dem Markt als der alte, dessen Verwaltungshaus überdies noch heute zu sehn ist, aber in der Mitte der Stadt liegt er keineswegs. Es sei noch hinzugefügt: Die Straße vom Markt nach dem (alten) Bahnhof hieß seinerzeit Bahnhofstraße. Später – als dieser Name nicht mehr den Tatsachen entsprach – wurde sie umbenannt in Wettinstraße. In der Zeit marxistischer Herrschaft bekam die Wettinstraße den schlichten Namen Marktstraße. Das neue Deutschland gab dann der Straße ihren alten, ehrenvollen Namen zurück.

Historisch nicht wenig wertvoll ist auch ein Fahrplan für die Linie „Ehrenfriedersdorf–Wilischtal nebst Zweiglinie Thum–Oberherold und zurück”. Doch es soll hier genügen, die Abfahrts- und Ankunftszeiten der Züge in Ehrenfriedersdorf anzuführen. Das „Adreßbuch” enthält den Fahrplan vollständig, ebenso einen solchen für Schönfeld–Annaberg und Chemnitz–Aue.

Von Ehrenfriedersdorf ab gingen Züge um 6.10, um 9.03, um 2.47 (14.47) und um 6.12 (18.12). Die Ankunft der Züge fiel auf um 8.44, um 11.29, um 5.14 (17.14) und um 9.44 (21.44). Die Züge „stationierten” also in Ehrenfriedersdorf. In drei Fällen war in Oberherold Anschluß nach beziehentlich von Thum. In Wilischtal hatte man Anschluß nach Chemnitz und nach Annaberg. Wenn damals – um den wohl „interessantesten” Fall herauszugreifen – jemand von Ehrenfriedersdorf in das benachbarte Schönfeld „reisen” wollte, dann hätte er eine Stunde fahren müssen bis Wilischtal (genau 59 Minuten!) und von da aus noch eine entsprechende Zeit bis Schönfeld. Eine andere Fahrmöglichkeit bestand vor 30 Jahren noch nicht. Wahrscheinlich hat man dann in solchen Fällen vorgezogen, die Angelegenheit per Fuß abzumachen.

„Botenposten nach und von Annaberg verkehren täglich mit Ausnahme des Sonntags. Botenfuhrleute: Albin Höfer, Ehrenfriedersdorf, und Carl Görg, Annaberg. Frachtgüter vom Bahnhof nach der Stadt und umgekehrt werden zu jeder Zeit durch die Spediteure Otto Weiße und Otto Meinhold besorgt.”

Über „Gewerbe, Handel und Industrie” weiß Otto Heerde zu sagen: „In Ehrenfriedersdorf sind alle Branchen vertreten. Es ist insbesondere eine aufstrebende Industriestadt, die sich mit der Herstellung von Schuhwaren, Posamenten, Spielbällen und Strumpfwaren befaßt.”

Als Flächeninhalt des Stadtbezirks Ehrenfriedersdorf gibt er 1 23 ha 44 a an. — „Die Beleuchtung der Stadt sowie der Betriebe fast aller Fabrikationszweige erfolgt durch die im Jahre 1901 erbaute, in städtischem Besitz befindliche und mit guten Ueberschüssen arbeitende Gasanstalt. Eine ausgezeichnet funktionierende Hochdruckwasserleitung mit einem Hochbehälter von 800 cbm Fassungsraum liefert Wasser in bester Beschaffenheit und mehr als ausreichender Menge. Für den Fall etwaiger Feuersgefahr bestehen 2 Feuerwehren, eine Freiwillige und eine Pflichtfeuerwehr.”

Nach einem ganz kurzen Stück über „Geschichtliches” — das wir in unserem Sonntagsblatt schon eingehend gebracht haben —, kommt Heerde auf Ehrenfriedersdorfs „Sehenswürdigkeiten” zu sprechen: „Die altehrwürdige St. Niklaskirche mit ihrem herrlichen wandelbaren Altarbild, dessen Kunstwerk auf Millionen Mark geschätzt wird. Die 70 Zentner schwere große Glocke aus dem Jahre 1543. Das Kriegerdenkmal von 1870/71. Das Rathaus, die neue Schule, das Postamt, das neue Amtsgericht, die Städtische Gasanstalt, das Zinnbergwerk auf dem Sauberg, der zu Ehrenfriedersdorf gehörige Greifenstein mit der Stülpner- und der Ritterhöhle und den Granitsteinbrüchen.”

Den Abschluß des kleinen Adreßbuches bildet ein Artikel von dem derzeitigen Ehrenfriedersdorfer Pfarrer Dr. Seidel, betitelt „Beitrag zur Kirchengeschichte von Ehrenfriedersdorf”. Daraus sei noch folgendes herausgegriffen: „An Bildern sind in der Kirche vorhanden und auf dem Altarplatz aufgehängt die Gemälde der Pastoren Th. Uhlig († 1701 hier), Georg Friedr. Müller († 1760 hier), Christ. Friedr. Becher († 1802 hier), Joh. Christ. Koch († 1847 hier), Karl Ehregott Ludwig Winkler, von hier 1861 nach Naundorf bei Freiberg versetzt († in Freiberg 1897).

In früheren Zeiten lag der Gottesacker um die Kirche herum; ein Rest davon ist der jetzige „Kirchhof” an der Nordseite der Kirche, welcher nicht mehr belegt wird. Der jetzige Ehrenfriedersdorfer Gottesacker dürfte in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in seinem ursprünglichen Teil angelegt worden sein; derselbe wurde 1886 bedeutend erweitert, zugleich wurde zu derselben Zeit in dem eingepfarrten Schönfeld ein besonderer Gottesacker errichtet.”

Damit wollen wir Abschied nehmen von „Ehrenfriedersdorf vor 30 Jahren”. Vielleicht hat der eine oder der andere unserer Leser eine „kleine Bekanntschaft” auffrischen können. Haben wir diesem und jenem ein paar Augenblicke schöne Erinnerungen schenken dürfen, dann haben diese Zeilen ihren Zweck erfüllt.