Jahrmarktsleben in Alt-Annaberg.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 30, 25. Juli 1926, S. 6

Fastenmarkt in Annaberg.

Ein ergötzliches Gedicht von Widar Zienert aus dem Jahre 1838 als Quelle zur Annaberger Orts- und deutschen Kulturgeschichte. Bilder von Rudolph Köselitz-München.

Bald ist Fastenmarkt! Nur gutes Wetter!
denn schon freut sich alt‘ und junge Welt,
Neffe, Schwager, Nichte, Muhm‘ und Vetter,
alles hat sich schon dazu bestellt.
Auf den Montag, da beginnt die Freude,
auf den Montag geht der Jubel los;
schon von fernher zieh’n die Handelsleute
an mit Karr’n und Körben, klein und groß.

Buchholz, Sehma, Cranzahl, Schlettau, Geyer,
Rückerswalde, Geyersdorf, Frohnau,
Elterlein, Thum, Wolkenstein und Zwönitz,
Wiesa, Scheibenberg und Mildenau, —
alle Orte senden starke Scharen
lust’ger Leute auf den Jahrmarkt aus.
Arme laufen, Reiche aber fahren,
und der Aermste selbst bleibt nicht zu Haus.

Stolz mit Boa und mit Pelerinen,
in die teuren Mäntel emballiert,
rücken Laura’s ein und Wilhelminen
und was sonst den Titel Fräulein führt.
Flüsternd führt ganz göttlich sanft und zierlich
sie ein Galanthome durchs Gedräng,
der Geliebte ist’s doch ganz natürlich
nennt das Fräulein ihn nur cher cousin.

Ohne Boa, Mantel und Saloppe
kommen auch Mamsellchen angerückt,
in den Händen weiße Taschentücher
und mit breitem Gürtelband geschmückt.
Barfuß in den dünnen Gingham-Fähnchen
rennen sie durch Straßenschmutz herzu
auf den Jahrmarkt, und kurz vor dem Tore
ziehen sie erst Strümpfe an und Schuh‘.

Manche haben auch bei sich den Liebsten,
der mit selbsterbautem Bummelstock
und mit blankgeputzter Tabakspfeife
heute paradiert im Bratenrock.
Angelegt hat er den Hamletskragen,
weil die Halskrawatte Löcher hat,
dazu kommt: er will als „Lord de Mode
heut mal renommieren in de Stadt”.

Auf dem doppelspänn’gen Leiterwagen
kommt die Gret‘ und Liese ankutschiert,
Hans und Christlieb in den Lederhosen
und den Stiefeln, derb mit Ruß geschmiert.
Hinterdrein führt Michel seine Röse
mit dem golddurchwirkten Gürtelband,
und zuletzt kommt noch in schmucker Chaise
angerasselt mancher Mann von Stand.

Manche kommen, um viel einzukaufen,
mancher wegen eines Rendezvous,
manche, um sich einmal auszulaufen,
viele zieht die Langeweil‘ herzu;
aber ach, die meisten Leutchen traben
nur zum Jahrmarkt, um sich umzusehn,
ob auch and’re wenig Geld nun haben,
und getröstet wieder heim zu gehn. —

Wie’s gewöhnlich geht im Menschenleben,
also muß es auch beim Jahrmarkt sein.
Nur durch Leiden und durch Gram und Kummer
geht man in das Haus der Freuden ein.
Vor den Toren liegen arme Blinde,
Lahme, Krüppel rufen jeden an,
ihre Klingel ist der Ruf des Elends.
Der Barmherz’ge gebe, was er kann.

Tritt man ein nun durch die off’nen Tore,
fallen einen die Hausierer an.
Mit Strohdeckeln, Kitte und Fleckseife
kommt der dicke Nankinghosenmann.
Tabak kauend, preist er seine Seife
unaufhörlich, und er selber doch
gleißt in seiner weißen Leinwandjacke
just wie ein altwaschner Judenkoch.

Auch der Mann aus Lauter mit den Bürsten
und der Wiesenthäler Schnurenfried
und Graf Greifenstein mit Postpapieren
und der Beierfelder Löffelschmied,
Musje Wachsmuth mit den Mordgeschichten
und die Crottendorfer Heringsfrau
und der Danel mit den Hosenträgern
und der Zweckensteff von Mildenau.

Jeden Plagegeist des Erzgebirges
läßt der lust’ge Fastenmarkt heut‘ los.
Kaufen muß man, da ist keine Gnade,
sonst wird man die Sippschaft gar nicht los,
denn die Leutchen hängen sich wie Kletten
an die Tritte eines jeden an,
daß man sich noch kaum vor ihnen retten
und zum Markte selbst gelangen kann.

Wird man dort einmal recht derb getreten
und mit einem Rippenstoß begrüßt,
nun so geht das Leben nicht gleich flöten,
und man weiß ja doch nun, wo man ist,
wird dafür sofort auch reich entschädigt,
denn es gibt der Freuden vielerlei.
Diese will ich nun nach Kräften schildern,
drum ihr Musen kommt und steht mir bei.

An dem Eckhaus hier schräg gegenüber
hat ein Bildermännchen ausgelegt
und die Leine an die Wand genagelt,
die die schönsten Kupferstiche trägt,
als da sind die: Der Genoveva Leben,
Liebesszenen, Mord und Sündenfall,
Sultan Mahmud, Nante Strumpf daneben,
da ’ne Fürstin, dort ein Barribal.

Eine Tür, auf Böcke festgeknebelt,
trägt die allerneuste Lit’ratur,
Magelone und Till Eulenspiegel,
Blumensprache, Schaf- und Hammelschur.
Und davor steht Christlieb mit der Röse,
der er alle Bilder expliziert,
während sie die allerliebsten Verschen
und die Witze mühsam buchstabiert.

Gegenüber sucht beim Antiquare
ein Quartaner den Cornelius
per Sincerum, hübsch mit Eselsbrücken,
daß er sich nicht präparieren muß.
Aber was er sucht und fragt und forschet
in dem Bücherkram, er findet nur
wenig Gutes, meistens bloß Fragmente,
aber desto mehr von Mak’latur.

Um die Ecke links bei’n Ginghamleuten
kaufen Friedliebs Mäd‘ sich Tücheln ein,
und das Gelb und Feuerrot scheint ihnen
immer noch nicht bunt genug zu sein.
Hinter ihnen steh’n zwei feine Herrschen,
loben ihre hohen Taillen sehr,
nennen sie ganz allerliebste Närrchen,
Dampfmaschinen und dergleichen mehr.

Weiter hinten langt ein Blechmann gähnend,
weil er eben keine Käufer hat,
sein Riechfläschchen aus der Löffelkiste,
trinkt er sich an dem edeln Kümmel satt,
setzt sich dann auf seine Ofenröhren
und bedauert sehr, der arme Mann,
daß der Winter schon so schnell vorüber,
und er nichts davon verkaufen kann.

Auch die Pegauer Babusenleute
sind mit echter Ware heut‘ zu Platz,
und die Groitzscher Weiber rufen freundlich:
„I, was suchts Du denne? Komm, mei Schatz,
sieh einmal, wie feste da die Stiche!
Mache doche, kofe mir was ab!
Das sin Schuhe, die zerreißen niche,
die, weeß Knöppchen, nimmst Du mit ins Grab.”

In des Wilden Mannes Hallen findet
sich das Klingenthaler Magazin
von a-b-c-d-es-f-Klarinetten,
Flöten, Hörnern, Schello’s, Violin.
Da probiert ein Schenkenvirtuose,
ob ein es-Klarnettchen tüchtig fabt,
während sein Kumpan auf einer Geige
still entzückt den „Lauterbacher” schabt.

Die Korbmacher an der Rathausecke
finden wohl gar großen Absatz heut.
Manche Dame kauft ein Kinderkörbchen,
worauf heimlich nur die Köchin beut,
die auch Mutter bald gedenkt zu werden,
aber laut nach einem Marktkorb fragt,
und der Krämer, ihren Wink verstehend,
ihr den Preis des Kinderkörbchens sagt.

Auch die weißgeschürzten Fleischer haben
heute Wurst in Masse aufgetischt.
O, wie schön sind doch die großen Griefen
in den blutigroten Grund gemischt!
Bauern kaufen Wurst und dann daneben
saure Gurken aus dem offnen Faß;
auch Heringe, gut in Stroh gewickelt,
geben Nickeln einen Kirmesfraß.

(Fortsetzung folgt.)