Mit offenen Augen durch die Heimat

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 45, 134. Jahrgang, 17.11.1940, S. 1, S. 4.

(3. Fortsetzung)

1427 soll Neudorf zerstört und etwa 1500 neu aufgebaut worden sein.

Einer der bedeutendsten Punkte im Dorfe ist der Kretscham Rothensehma. Dieser Erbkretscham mit seinen Freiheiten und Rechtsamen liegt an einem kleinen Bache, der in den Torflagern der Luxheide entspringt. Er enthält bräunliches Wasser und das trug ihm den Namen Rote Sehma ein. Aus dem Marmorbruch in seiner Nähe hat man seinerzeit Gestein zum Fußbodenbelag in der Katholischen Hofkirche zu Dresden verwendet. Auf den Spaltungsflächen dieses Marmors findet man da und dort seladongrünen Tremolith. Diese Gegend ist für den Mineralogen ein hochinteressantes Gebiet.

Die Höhenunterschiede in der Gemeindegemarkung betragen 750 bis 800 Meter.

Nicht weniger als vier Eisenbahnstationen zählt Neudorf, außerdem drei der KVG-Linie.

Wer es einmal durchwanderte, erinnert sich gern und jederzeit seiner gemütlichen Lage und der guten Berg- und Waldluft, die er hier mit vollen Zügen atmen durfte.

Mit dem Herold im Gemeindesiegel …

Dort, wo der Wegweiser noch 2 Kilometer von der Reichsstraße bis Herold bedeutet, begann ich meine Streife. Birken wachten am Taleingang. Die Wilisch zog mit ihren Wässerchen gen Herold, das auf 243 Hektar Flur fast 2000 Einwohner zählt. Wie jede erzgebirgische Gemeinde ihre Besonderheiten offenbart, so war es auch hier. Mir ist ja ohnehin kein Dorf wie das andere. Sobald man es erlebt, empfindet man aus ihm und aus seinen Lebensäußerungen oft eine Fülle freundlicher Überraschungen. Herold ist 2 Kilometer lang. 2,5 Kilometer Straßen muß die Gemeinde unterhalten. Der höchste Punkt in der Ortsgemarkung ist der Trinkwasserhochbehälter (500 m). Über ein Dutzend Brücken und Stege vermitteln den Verkehr über die Wilisch. Die Front einer Strumpffabrik schaut hinauf zum Kirchlein. Vor ihm ist der drei im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 Gebliebenen und der Weltkriegstoten in würdiger Form gedacht. Vom Hang am Gotteshaus überschaut man einen Teil der langen Gemeinde, die mit den „Knochenhäusern” in Richtung Thum auch einen Ortsteil mit besonders eigenartiger Bezeichnung aufweist. Mit Eisenbahnhaltestellen ist Herold ausgiebig versehen. Neben dem Bahnhof Ober-Herold (460 m) bestehen zwei Haltepunkte in Mittel- und Nieder-Herold. Die angrenzenden Staatsforstreviere Thum und Venusberg geben der Wilischtal-Gemeinde einen landschaftlich wertvollen Rahmen. Herold verfügt über mehrere Strumpffabriken und über 13 Landwirtschaften, von denen 10 Erbhöfe sind. Auf Flur Herold liegt ein Kalk- und Marmorwerk, das einzige in weiter Umgebung mit Untertagebau bis zu 150 m Tiefe. Die Gemeinde verfügt über 6 Hektar Siedlungsareal. Eine Randsiedlung ist geplant. Der vom Schnitzverein gebastelte „Spuler” für die WHW-Werbung ist Denkmal und Wahrzeichen Herolds zugleich. Der Verein zählt allein dreißig Aktive.

Jedenfalls ist auch diese Gemeinde von Heimatliebe trächtig, von Menschen bewohnt, die für über alles lieben, von regem Fleiß durchpulst und dem Willen, im Kreis Annaberg immer mit an der Spitze zu marschieren. Und wenn ich das Fazit aus meiner Streife durch ihre Gemarkung ziehe, so gehe ich mit Carl Friedrich Rausch, Chemnitz (†), gern einig: „Bist du auch klein, so bist du doch schön, du lieber Flecken im Tal!”

Ein Venusberger Viertelstündchen

Ein Viertelstündchen genügt vollauf. In ihm kann man den freundlichsten Eindruck vom Gemeinwesen am Thumer Staatsforst und am Herolds-Wald empfangen. Einen Eindruck, der unverwischbar in der Seele des Heimatfreundes bleibt, weil er die ganze Schlichtheit des erzgebirgischen Dorfes widerspiegelt. Ich bin schon oft durch die wohlgeordnete Siedlung gekommen und immer wieder ist es gern geschehen. Wenn mich dort auch keine großen Überraschungen erwarten, so nimmt mich doch die verkehrsabgeschiedene Lage und die frohe Natürlichkeit um Menschen, Häusel und Gärtchen gefangen. Vor dem schlichtgrauen Gemeindeamt liegt ein sauberer rechteckiger Platz. Seitlich davon steht eine adlerbekrönte Säule für die 1870/71 gebliebenen Venusberger. In der Dorfmitte kuscheln sich die Häuser unregelmäßig zusammen, fürwahr ein wundervolles Bild vollkommen erzgebirgischer Gemütlichkeit auch in der äußeren Dorfgestaltung! Wenn ich davon sprach, daß der Lärm starken Verkehrs fehlt, so schließt das nicht aus, daß die fleißigen Venusberger dennoch sehr leicht mit der KVG nach Gelenau, Ehrenfriedersdorf und Annaberg kommen können. Damit ist bereits ein Teil der erreichbaren schönen Umgebung angedeutet. Bis zum interessanten Schloß Scharfenstein sinds 4 Kilometer. 1600 Einwohner zählt die Gemeinde und 528 Hektar Flur. Von 34 Landwirtschaften sind allein 28 Erbhöfe. Das Rittergut ist zum Mustergut gestaltet worden. Die für Venusberg so bedeutsame Spinnerei hat ihre Arbeiterzahl fast in jedem Jahr gesteigert. Sie umfaßt Arbeitskräfte aus etwa 20 Ortschaften. Den Hauptanteil stellt aber Venusberg selbst, dann vor allem Gelenau, Thum, Grießbach und Ehrenfriedersdorf. Andererseits schaffen eine ganze Anzahl Venusberger Bauarbeiter auswärts. Es steckt ein unbändiges Leben in der stillen Gemeinde. Wer das Dorf mit wachen Sinnen durchschreitet, der findet bestätigt, daß Venusberg stärkste Beachtung verdient von denen, die menschlichen Fleiß in Verbindung mit anziehender Landschaft lieben!

J. B.