Preußische Einquartierungen im Kriegsjahre 1866.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 36, 5. September 1926, S. 1

Der Ruf: „Die Preußen kommen!” würde heute keinerlei Bewegung der Gemüter hervorrufen. Anders 1866, wo die Preußen als Feinde im Lande standen und als solche von der Bevölkerung nicht mit Freuden aufgenommen werden konnten.

Der deutsche Krieg 1866 hatte Preußen und Sachsen, das zu Oesterreich hielt, zu Feinden gemacht. Um das Heimatland vor den kriegerischen Verwüstungen zu bewahren, räumte das sächsische Heer das Königreich und rückte nach Böhmen zur Vereinigung mit der österreichischen Armee unter dem Feldzeugmeister Benedeck. Auf dem siegreichen Vormarsch der Preußen wurde das obere Erzgebirge nicht besetzt. Erst nach Beendigung des Feldzuges rückten auf dem Heimmarsch preußische Truppen in unsere Gebirgsgegend und besetzten u. a. Annaberg, Bärenstein und Jöhstadt.

Die Preußen 1866 in Bärenstein
Wiedergabe eines dem Militärverein zu Bärenstein von den Familien Donath, Laubegast-Loschwitz, gestifteten Bildes in Originalgröße (Aufnahme des Ortsrichters Donat +, Bärenstein.)

Als nun im Jahre 1866, so schildert der Vorsitzende des Bärensteiner Militärvereins, Adolf Hermann, welcher das Jahr 1866 als 8jähriger Junge miterlebte, die Kunde vom Herannahen preußischer Detachements in Annaberg vernommen wurde, diskutierte man lebhaft die Frage, wie man sich den Angehörigen des feindlichen Brudervolkes gegenüber zu verhalten habe. Und als dann eines Tages tatsächlich der Ruf ertönte: „Die Preußen kommen!”, eilte man auf die Straßen und lief aufgeregt dem Wolkensteiner Tor zu, wo die Spitze einer Ulanenpatrouille sichtbar wurde. 18 rote Ulanen ritten im Schritt an den schweigenden Bürgern vorbei in die Stadt zum Postamt in der Buchholzer Straße. Auch dem Bahnhof wurde ein Besuch abgestattet, dann verschwanden die feindlichen Reiter und wenige Tage später kam preußische Infanterie nach Annaberg, wo sie längere Zeit verblieb. Die Preußen exerzierten täglich auf dem alten Exerzierplatz vor dem Wolkensteiner Tor, der auch der Kommunalgarde als Übungsplatz diente.  Mit der Zeit kam es zu einem recht guten Einverständnis zwischen Einquartierung und Bürgerschaft. Besonders die Jugend hatte es gleich vom Anfang an nicht so genau mit Freund und Feind genommen. Die Jungend rechneten es sich als Ehre an, der den Eltern erst unwillkommenen Einquartierung das schwere Zündnadelgewehr zum Stellplatz auf den Markt oder von diesem zurück in die Wohnung zu tragen.

Leider existiert unseres Wissens keine photographische Aufnahme dieser Zeit aus Annaberg selbst. Aber vom Bärensteiner Militärverein wurde uns liebenswürdigerweise das Bild, welches wir heute veröffentlichen, zur Verfügung gestellt, welches die Preußen in Bärenstein auf dem Biwakplatze am sogenannten Schenkberge hinter dem Fremdenhofe „Sächsisches Haus“ zeigt. Unser Mitarbeiter Otto Bauer, Bärenstein, schreibt uns dazu: In Bärenstein marschierten die Preußen von Weipert aus ein. Der heute noch geistig und körperlich rüstige im 92. Lebensjahre stehende Fabrikant Friedrich Zimmermann aus Stahlberg, Bärenstein’s ältester Einwohner, war beim Einzuge in Weipert und Bärenstein zugegen. Er war höchst verwundert, daß die schlimmsten Preußenfresser Weiperts auf einmal so gemütlich mit dem „Feinde” taten und mit ihrer preußischen Einquartierung in „Stadt Leipzig” in Weipert Feste feierten, ihre Einquartierung in allen Kneipen freihielten und in herzlichem Einvernehmen standen.

Der damalige Ort Bärenstein mit seiner kleinen Flur und wenigen alten Häusern war auf den preußischen Karten gar nicht eingezeichnet, wohl aber Stahlberg, jetzt Oberbärenstein, mit seiner großen Flurausdehnung von der Hutweide bis an den Bärenstein.

Die Preußen richteten drei Lagerplätze in Bärenstein ein, am Schenkberge und ober- und unterhalb des „Gasthofes zur Fichte” in Stahlberg. Ein und einen halben Tag lang entwickelte sich dort ein höchst gemütliches militärisches Lagerleben. Die Erzgebirger wurden rasch gut Freund mit den Preußen, welche eine musterhafte Disziplin an den Tag legten. Man war müde des Haders der deutschen Stämme und sehnte sich gemeinsam nach deutscher Einheit, die wenige Jahre später, am 18. Januar 1871, endlich Wahrheit werden sollte. In Jöhstadt saß der heute noch als Veteran von 1870/71 lebende Robert Schmiedel damals als 19 Jahre alter Klempnergeselle mit seinem Meister auf dem Kirchturmdache hoch oben an der Turmspitze, um diese mit Kupferblech zu umkleiden, als auf einmal von Pleil-Sorgenthal aus preußische Marschmusik erklang. Die Trommeln wirbelten und die für die Sachsen ganz ungewohnte Musik der preußischen Querpfeifen gellte durch die Stille. Im Sonnenschein blitzten die Spitzen der preußischen Pickelhauben auf und Meister und Geselle konnten nicht schnell genug vom Kirchturm herunter kommen, um zum Marktplatz zu eilen, wo der Bürgermeister den Kommandeur der preußischen Infanterie willkommen hieß, der sich vom Pferde herunter mit weithin hörbarer tiefer Baßstimme mit „Oberst von Wulfen” vorstellte. Auch in Jöhstadt herrschte bald ein gutes Einvernehmen mit der preußischen Einquartierung, so daß die Tage, wo zuletzt Deutsche im deutschen Land als Feinde weilten, ohne ernsten Zwischenfall abliefen, weil sich Preußen’s und Sachsen’s Söhne schon als Glieder eines ganzen Volkes fühlten.