Die Geschichte des Weihnachtsbaumes.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 129. Jahrgang, Nr. 50, 8. Dezember 1935, S. 1

Von Albert Schweizer.

Der lichterglänzende Weihnachtsbaum ist uns allen aus den Tagen unserer Kindheit so vertraut und so innig mit dem Weihnachtsfest und dem deutschen Volksgemüt verbunden, daß wir uns kaum vorstellen können, daß es einst eine Zeit gab, in der man noch keinen Christbaum kannte.

Von je her war die Pflanzenwelt mit den Sitten und Gebräuchen der Menschheit innig verknüpft. Von blühenden Bäumen, die in der heiligen Nacht zum jungen Leben erwachen, wissen Chroniken und Legenden Wundersames zu erzählen. Die Rose von Jericho, die ihre Blüte im hellen Schein des Sterns von Bethlehem entfaltet, hat ihr naturgeschichtliches Gegenbild in der Nieswurz, deren vorzeitige Blüten schon im Dezember „Schneerosen” hervorsprießen lassen. Alte Geschichten melden von dem in der Christnacht ausschlagenden Weißdornstrauch; und die blühenden Apfelbäume, die manch Auserwählter in der heiligen Nacht leuchten sah, lassen eine geheimnisvolle Erinnerung an den Lebensbaum des Paradieses ausklingen, an dem Christus die purpurnen Blüten seines Leidens für die Menschheit opferte.

Schon in den Urzeiten indogermanischen Weltempfindens tauchen heilige Bäume auf, von denen ein magisches Leuchten ausgeht. Im Mahabharata-Epos der Inder finden wir den heiligen Acokabaum, der mitten im Walde voller Blüten steht und in höchster Not angebetet wird; in der Mythologie der alten Germanen spielt der Julblock als Sinnbild des erwachenden Pflanzenlebens eine bedeutsame Rolle. Das heimliche Aufblühen und Aufwachen der Bäume und Sträucher riefen im Menschen die Sehnsucht hervor, solche Wunder im eigenen Hause zu erleben, und so entstand die Sitte, in der Weihnachtszeit Blumen und Zweige künstlich zum Blühen zu bringen. Allerdings wandte man sich von den künstlich hervorgebrachten Pflanzen sehr bald wieder ab und den immergrünen zu, den Tannen, Fichten und Föhren. Die ältesten Nachrichten, die man in Beziehung zum Weihnachtsbaum brachte, waren Tannenreiser, die man in die Stube legte. Schon um das Jahr 1494 schrieb Sebastian Brant in seinem berühmten „Narrenschiff”:

„Und wer nit etwas nuwes hat, / und umb das nuw jor syngen gat, / und gryen tann riß steckt in syn huß, / der meynt er lebt das jor nit uß.”

Wie hieraus hervorgeht, war es gegen Ende des 15. Jahrhunderts im Elsaß allgemein Sitte, daß man um Neujahr Haus und Hof mit Tannenreisern schmückte als glückhafte Vorbedeutung für das kommende Jahr. Vierzehn Jahre später erwähnt der berühmte Straßburger Prediger Geiler von Kaysersberg die Tannenreiser wieder in einer Predigt, wo er diesen Brauch als heidnisch verdammt. Durch das ganze 16. Jahrhundert läßt sich dann in der katholischen Reichsstadt Schlettstadt der Tannenbaum als Weihnachtsschmuck nachweisen. Schon 1521 wurde in Schlettstadt behördlich verboten, Weihnachtsbäume zu schlagen. Sicher war der Grund dieses Verbotes nicht in Rücksichten auf den Wald, sondern auf die Kirche zu suchen; jedenfalls ist hier zum ersten Mal von Weihnachtsbäumen die Rede.

Aber die erste wirkliche Erwähnung eines geschmückten Tannenbaumes finden wir in der Handschrift eines Straßburger Bürgers aus dem Jahre 1604, in der es heißt:

„Auff Weihnachten richtet man Dannebäum zu Straßburg in den Stuben auf, daran henket man rossen, aus vielfarbigem Papier geschnitten, Aepfel, Oblaten, Zischgold und Zucher.” Leider fehlt ein Teil dieser Handschrift, so daß wir nichts weiter darüber erfahren. Immerhin ist dieser Baum bereits unserm heutigen Weihnachtsbaum ähnlich, nur mit dem Unterschiede, daß der Tannenbaum der damaligen Zeit noch keine Lichter trug. Ein anderer Straßburger Prediger, Dannhauer mit Namen, bekämpft noch im Jahre 1654 den ihm heidnisch dünkenden Brauch. In seinem dickleibigen Kompendium „Katechismusmilch” sagt er:

„Unter allen Lappalien, damit man die frohe Weihnachtszeit ost mehr als mit Gottes Wort begeht, ist auch der Weihnachtsbaum oder Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Zucker und Puppen behängt, und hernach schütteln und abblumen läßt. Wo die Gewohnheit hergekommen, weiß ich nicht; ist aber ein Kinderspiel; doch besser als andere Phantasie und Abgötterei, so man mit dem Christkind pflegte zu treiben und also des Satans Kapelle neben die Kirche bauet und den Kindern solche Opinion beibringt, daß sie ihre inniglichen Gebetlein vor dem vermummten und vermeindlichen Christkindlein in fast abgöttischer Weise ablegen.”

Scherenschnitt
Weihnachtsbescherung. (Scherenschnitt aus dem Jahre 1830)

Zum Weihnachtsbaum ist er allerdings immer noch nicht so recht geworden. In den Anfängen ist es immer wieder das Elsaß, wo wir vom Tannenbaum hören. Darüber hinaus hat er sich nur sehr langsam verbreitet.

Die erste schriftliche Erwähnung des bereits lichtgeschmückten Weihnachtsbaumes finden wir in einem 1737 erschienenen Buche des Wittenberger Rechtsgelehrten Gottfried Kißling über die „heiligen Christgeschenke”, in dem unsere heutigen Weihnachtssitten und Weihnachtsgebräuche fast schon vollzählig entwickelt sind. Auch in einer Schrift Jung-Stillings aus dem Jahre 1750 findet sich ein Hinweis auf den Lichterbaum.

Ob sich der Kult des altgermanischen immergrünen „Lebensbaumes” zur Winterszeit wirklich nur im Elsaß erhalten hat, läßt sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Gewiß ist nur, daß der Tannenbaum nach der gewaltsamen Französierung aus dem Elsaß fast völlig verschwand, und durch Deutschland hat er sich nur ganz allmählich verbreitet.

Luther kannte den Weihnachtsbaum nicht, obwohl er auf drei Bildern gemalt ist. Auch Goethe kannte ihn nicht aus der Weihnachtsstube seiner Kindheit; denn er sah den ersten geschmückten Weihnachtsbaum im großväterlichen Hause Theodor Körners und später als Student in Leipzig im Hause des Kupferstechers Stock. Während seiner weimarschen Zeit erlebte er, wie der Oberforstmeister gegen den Waldfrevel der weihnachtlichen Tannenbaumsitte wütet. Schiller dagegen hat ihn in seiner Kindheit kennengelernt. Im Jahre 1789 bittet Schiller bei Lotte von Lengenfeld um einen „grünen” Baum. Vier Jahre später weilte er mit seiner Frau zu Weihnachten in der Heimat. Sein Freund Hoven berichtet darüber: „Am Weihnachtsabend traf ich ihn ganz allein vor einem mächtigen großen Weihnachtsbaum mit vergoldeten Nüssen, Pfefferkuchen, der von einer Menge kleiner Wachskerzen erleuchtet und mit allerlei buntem Zierat geputzt war. Heiter lächelnd betrachtete er den Baum und naschte von seinem Zierat herab. Ich fragte verwundert, was er treibe? „Oh ich erinnere mich meiner eigenen Kindheit, dabei freue ich mich, die dereinstige Freude meines Sohnes (den ihm im September zuvor Lotte schenkte) jetzt schon im voraus zu genießen. Der Mensch ist nur einmal im Leben Kind, und er muß es bleiben, bis er seine Kindheit auf ein anderes Wesen vererbt hat.”

Dagegen kennen ihn Schleiermacher in seiner 1805 erschienenen „Weihnachtsfeier” und Ludwig Tieck in seinem einige Jahre später erschienenen „Weihnachtsabend” noch nicht, ebenso wenig wie Peter Hebel, der Dichter jener alemannischen Landschaft, aus der der Tannenbaum stammte. Das erste literarische Denkmal, in dem der Tannenbaum mit seinen goldenen und silbernen Äpfeln Mittelpunkt der Weihnachtsbescherung wird, ist das 1816 erschienene Märchen von Hoffmann und Fouque.

In manche Gegenden kam der deutsche Weihnachtsbaum allerdings auf seltsamen Wegen. In Sachsen beispielsweise soll er während des Dreißigjährigen Krieges durch die Schweden eingeführt worden sein. Nach München kam er 1817 durch die Gattin des Philosophen Schelling, Pauline Gotter; nach Berlin 1780. An der Verbreitung des deutschen Weihnachtsbaumes hatten nicht wenig deutsche Fürsten und Fürstinnen teil. So brachte die Erzherzogin Maria Dorothea von Württemberg den Baum 1819 nach Ungarn; nach England kam er durch den Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha und nach Frankreich durch die Herzogin Helene von Orleans.

Langsam, aber ständig verbreitete sich der Weihnachtsbaum durch alle Länder und löste bei allen Völkern, bei alt und jung, Märchenstimmung, echte Weihnachtsstimmung, aus, wenn des „Wunderbaumes” Lichter glänzen.