Die Versorgung einer Stadt mit Fleisch und Brot vor 400 Jahren (2)

Ein Beitrag zur Geschichte des Zunftwesens in Annaberg von Emil Finck.

(1. Fortsetzung.)

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 30, 31. Juli 1927, S. 1 – 2

Durch die zweite Verordnung sollten insbesondere die Konsumenten vor Übervorteilung im Handel, aber auch der Stadtsäckel vor Unterschleif hinsichtlich des Bankzinses bewahrt werden.

Es erscheint auf den ersten Blick auffällig, daß es dem Rate so sehr viel Mühe machte, die Fleischer zum Verkaufe nach bestimmtem Gewicht zu gewöhnen. Die Tatsache berechtigt wohl zu der Annahme, daß beim Fleischhandel der Schacher üblich sein mochte, der auf Bieren und Fleischen nach dem Augenschein beruhte. Noch heute kaufen viele Fleischer ihr Schlachtvieh gern auf diese Weise ein.

Zehn Groschen Pön zu zahlen wegen freihändigen Verkaufes, das war eine harte Strafe. Zehn Groschen (120 Pfennig) glich dem Preise für 40 Pfund Rindfleisch.

Das wirkte. Die Fleischer verkauften nunmehr nach Gewicht. Welcher Art dieses aber sein mochte, kann man daraus ersehen, daß kurze Zeit später die Verordnung schon wieder einer schärferen Fassung bedurfte. Ein Ratsbeschluß in dieser Angelegenheit kam am Donnerstag nach Pauli Bekehrung (28. Januar) 1507 zu stande und bestimmte, daß die Fleischergewichte mit dem Stadtzeichen gezeichnet, d. i. geaicht sein sollten. „Und bei welchem das nicht befunden, dem sollen die Gewichte genommen und er darzu gestraft werden.”

Die bisher erlassenen Verordnungen und Befehle wurden während der Fastenzeit des Jahres 1507 gesammelt und nach verschiedenen Erwägungen, Begutachtungen und nach manchen Unterhandlungen mit dem Handwerk selbst vom Rate sachgemäß abgeändert. Die Fastenzeit war zu solchen Erörterungen entschieden die geeignetste Zeit, sofern andauernde Enthaltsamkeit vom Fleischgenusse wirklich besänftigend wirkt; denn nur einträchtiges Entgegenkommen von beiden Seiten konnte die heikle Frage zur allgemeinen Zufriedenheit lösen. Das Ergebnis wurde in folgendem Wortlaute festgelegt.

Nachdem diese Satzungen von beiden Seiten gutwillig angenommen worden waren, hatte die zweijährige Fehde zwischen Fleischerhandwerk und Stadtobrigkeit ihr Ende erreicht.

Daß es ganz ohne Versuch, die Ordnung zu lockern, nicht jahrelang weiterging, ist selbstverständlich, eben so gewiß war aber auch das Bestreben des jeweiligen Rates, von seinem Hoheitsrechte solchen Übeltätern gegenüber den ausgiebigsten Gebrauch zu machen — und übrigens auch hin und wieder ohne besondere Veranlassung seine Machtvollkommenheit in gebührende Erinnerung zu bringen.

Am Dienstag nach Mariä Geburt 1516 (9. Sept.) hielt es der ehrbare Rat für angezeigt, an die Fleischbeschau der Schweine zu erinnern und darauf hinzuweisen, daß nicht nur das Fleisch von finnichten Schweinen, sondern auch die Würste, so von solchem finnichten Schweine gemacht, vor den Bänken auf dem Stocke verkauft werden müssen.

Und am 12. Januar 1517 (Montags, nach Erhard) hat der ehrbare Rat den Viermeistern der Fleischer ernstlich befohlen, daß sie bestellen sollen — so heißt es wörtlich —,

daß man einem jedermann Kalbfleisch lassen solle ohne allen Anhang: wie Gekrös, Geschlink, Rindfleisch oder anderes. Und soll auch also öffentlich ausgerufen werden, damit sich jedermann darnach zu richten habe.

Da die Ordnungen fast durchweg auch Bestimmungen über Fleischpreis und über die Menge der von einzelnen Fleischern zu schlachtenden Tiere enthielten, so machte sich von Zeit zu Zeit eine durch den Umschwung allgemeiner Verhältnisse verursachte Abänderung nötig. Die Preise hatten selbstverständlich den wechselnden Einkaufpreisen der Schlachtware zu folgen, und diese festzulegen, stand nicht in des hochmögenden Rates Macht. Wenn trotzdem den Meistern des Fleischerhandwerks die Preisbestimmung nicht selbst überlassen wurde, so geschah dies in wohlmeinender Fürsorge um die Wohlfahrt der Allgemeinheit. Bei den engen Schranken, die dem freien Wettbewerb der Handwerker damals gesetzt waren, hatte man übrigens mit Recht zu befürchten, daß durch Übereinkommen der Zunftgenossen unter sich leicht ein Übersetzen der Käufer hinsichtlich des Kaufpreises möglich war. Da angenommen werden darf, daß die von Rats wegen festgelegten Preise ein möglichst zuverlässiges Bild von den jeweilig statthabenden Teuerungsverhältnissen hiesiger Gegend überhaupt zu geben geeignet sind, so ist es jedenfalls erwünscht, darüber das zu erfahren, was das Ratshandbuch dazu berichtet.

Nach der Ordnung vom Oktober 1506 war das Pfunf Rindfleisch mit 3 Pfennig zu verkaufen.

Die Ordnung von Oculi 1507 nennt die Höhe nicht, sondern bestimmt, daß Ochsen-, Kuh- und Kalbfleisch bis auf weiteres gegeben werden sollte, wie man das zu Zwickau und auf dem Schneeberg gibt.

Von Ostern bis Pfingsten 1511 durfte das Rindfleisch um 5 Pfennig, das Schopsenfleisch um 4 Pfennig verkauft werden.

Dann folgte notgedrungen ein Abschlag, und als die Fleischer das Pfund Rindfleisch für 4 Pfennig nicht geben wollten, drohte der Rat damit, sich an fremde Fleischer zu wenden und die Stadt unter Umgehung des hiesigen Handwerks mit preiswerten Fleischwaren versorgen zu lassen.

Am Freitage Cyriaki und seiner Gesellschaft (8. August) 1511 hat der Rat dem Handwerke der Fleischer nachgelassen, daß sie auf Sonnabend nach Maria Himmelfahrt (16. August) schierst sollen und mögen das Pfund Rindfleisch, das gut ist, für 5 Pfennig, das Pfund Schopsen für 4 Pfennig, Schweins für 5 Pfennig, mit dem Speck aber für 6 Pfennig verkaufen.

Am Montage nach Laurentius (11. August) 1522 hat der Rat den Fleischern nachgelassen, daß sie das beste Rindfleisch um 5 Pfennig un d das geringe nach seinem Werte schätzen und geben sollen. Das Schopsenfleisch sollen sie geben: das beste um 9 Heller, das andere sollen sie schätzen und nach seinem Werte geben. Die Festsetzungen haben die Fleischer aber vorläufig nur zu einem Versuche auf vierzehn Tage angenommen. Wofern sie dabei nicht bleiben konnten, wollten sie das dem Rate ansagen.

Wesentlich höher im Preise als das Fleisch stand damals das Unschlitt. Es wird während der Zeit, die hier in Betracht kommt, durchschnittlich mit 17 Groschen für den Stein (das macht rund 10 Pfennig2 für das Pfund) bezahlt. Zuweilen aber schnellte der Preis ganz plötzlich hoch hinauf auf das Drei- und Vierfache des Fleischpreises; denn der Bedarf war hierorts im allgemeinen viel größer als das Angebot. Und wäre der Stadt nicht von auswärts ein beträchtlicher Teil des benötigten Rohstoffes für Licht- und Seifenwerk zugeführt worden, da würde trotz hoher Preise hier manchmal Mangel geherrscht haben. Unter solchen Umständen konnte sich der weise Rat keinesfalls vermessen, dem Fleischerhandwerke etwa auch die Unschlittpreise aus eigener Machtvollkommenheit vorzuschreiben, wie er es hinsichtlich des Fleisches tat. Doch die allgemeine Wohlfahrt erheischte auch hierin seine Fürsorge, und so ließ er sich’s denn angelegen sein, etwaigem Mangel oder allzugroßen Preisschwankungen dadurch vorzubeugen, daß er zum allgemeinen Besten stets einen großen Vorrat hielt und zeitweilig mit auswärtigen Verkäufern Lieferungsverträge abschloß, wenn die Verhältnisse dazu drängten. Auch die Vorschriften über den Umfang des Geschäftsbetriebes bedurften wiederholter Abänderung. Sollten sie den jeweiligen Verhältnissen entsprechen, so mußten sie dem häufig wechselnden Einwohnerstande der noch jungen Stadt unaufhörlich angepaßt werden. Die erste Veranlassung für die Stadtobrigkeit, sich überhaupt mit solchen lästigen Bestimmungen zu befassen, mag in dem Verhalten der Fleischer während der Fehde im Januar 1506 gelegen haben. Es sei daran erinnert, daß die Fleischer eines Tages einmütig streikten und die ganze Stadt böswillig Not leiden ließen, um sich keck der Belästigungen und Vorschriften zu erwehren, die sie von einzelnen Kunden und der hohen Obrigkeit zu ertragen gehabt hatten. In dem gerichtlichen Termine, der deshalb anberaumt worden war, gaben sie jedoch klein bei und gelobten, daß sie fürderhin die Gemeinde zur Genüge mit Fleisch versorgen wollten. In diesem Gelübde erkannte sie gewissermaßen eine Berechtigung des dem obrigkeitlichen Ermessen unterliegenden Schlachtzwanges an.

In der allgemeinen Fassung konnte der Zwang auf keinen Fall belastigend wirken. Jedoch der Brotneid unter den Zunftgenossen führte alsbald zur Einschränkung der gewerblichen Freiheit. Wie das ganze Zunftwesen überhaupt aus kommunistischen Ideen3 sich entwickelt hat, so war auch in der Annaberger Fleischerinnung nachweislich von Anfang an das Bestreben nach sozialer Gleichstellung aller Zunftgenossen der wesentlichste allgemeine Zug. „Einer für alle! Alle für einen!” und „Was dem einen recht ist, ist dem andern billig!” Das sind zwei von den schönen Schlagwörtern, die in den Gildenstuben gang und gäbe waren, zwei von den christlichen Rechtsgrundsätzen, die von allen Gildenbrüdern laut geheischt – von den meisten aber mit Arglist heimlich übertreten wurden. So sahen denn auch einige Annaberger Fleischhauer darob scheel, daß andere, von der Gunst des kaufenden Publikums gefördert, ihr Geschäft schwunghafter und vorteilhafter betreiben konnten, als es ihnen selbst bei ungünstigeren Verhältnissen möglich war. Solange die Ratsvorschrift dahin lautete, daß jeder Fleischer nach seinen Kräften zur Bestreitung des Bedürfnisses beizutragen habe, war der freie, rücksichtslose Wettbewerb gerechtfertigt und ein Verbietungsrecht seitens der Innung nicht zulässig. Dem entgegen fanden die Benachteiligten bald Gehör und Wohlwollen bei dem Rate. Dieser hob demnach die allgemein gehaltene Bestimmung des ersten Vertrages wieder auf und bestimmte, daß ein jeglicher Fleischer nur noch bis Ende November 1506 so viele Kinder schlagen solle und möge, als er wolle. Nach dieser Zeit aber durfte ein jeglicher Fleischer in einer Woche über drei Kinder nicht schlachten.

Zehn Jahre später, nämlich im Jahre 1516, wurde die Entwicklung Annabergs heftig erschüttert durch die Eröffnung der gräflich Schlickschen Bergwerke zu Joachimsthal. „Da hat sich jedermann wollen hineinmachen,” schreibt Arnold, und das Bergvolk hat geschrien: „Auf, ins Thal, mit Mutter, mit all!”

Die Bevölkerungsziffer Annabergs sank plötzlich um Hunderte und Tausende. Auf die Erwerbsverhältnisse der Zurückbleibenden blieb das nicht ohne Einfluß. In Bezug auf das Fleischergewerbe zeigt dies folgende Ratsverordnung:

Die Vorsicht der Fleischer bei der unsicheren Geschäftslage scheint größer gewesen zu sein, als nötig und für die Einwohnerschaft bequem zu ertragen war. Deshalb hat ein fürsorgender Rat am 8. September desselben Jahres beschlossen und den Viermeistern ernstlich Befehl getan, hinfort bei schwerer Strafe eines ehrbaren Rates: daß ein jeglicher Fleischer die Woche drei Schweine schlachten solle. Aber auch im Jahre 1517 war den Fleischern nachgelassen, daß ein jeder nicht mehr denn zwei Kinder zu schlachten brauche.

Im Jahre 1521 wurde der lästige Schlachtzwang vorübergehend ganz aufgehoben. Am Freitag nach Corporis Christi (31. Mai) ist nämlich dem Handwerk der Fleischer auf des Rats Beschließung angesagt worden, „daß hinfurder bis auf des Rats Wiederkündigung ein itzlicher Fleischer so viel Hauptviehes: als Ochsen, Kälber, Schöpse, Schweine u. s. w. als er vertreiben mag und kann, schlachten solle. Damit soll die Anzahl des Schlachtviehes wie anhero gewest, aufgehoben sein”.

Im folgenden Jahre erfuhr dagegen die Schlachtfreiheit schon wieder, und abermals angeregt durch Klagen einzelner Zunftgenossen, eine Einschränkung. Am Montage nach Lätare 1522 (31. März) hat nämlich der Rat mit Bewilligung der Innung beschlossen, daß kein Fleischer ein Jahr lang auf eine Woche mehr denn zwei Kinder und zwanzig Kälber schlagen solle. Die Anzahl der Schweine und Schöpse scheint freigestellt geblieben zu sein .

(Fortsetzung folgt.)

  1. Kopfstücke dürfen nicht beigelegt und mit gewogen werden. ↩︎
  2. Friedenswert ↩︎
  3. Friedensauffassung des Wortes ↩︎