Der alte Aussichtsturm auf der Jöhstädter Höhe.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 123. Jahrgang Nr. 22 vom 25. Mai 1930. S. 1 – 2.

Wohl mancher, der von Königswalde her über die Höhe vor Jöhstadt wandert und etwa 800 Meter vom Landheim des Annaberger Staatsrealgymnasiums den höchsten Punkt mit dem sich dort bietenden prächtigen Gebirgspanorama erreicht, wird sich im stillen gewundert haben, daß an dieser hervorragenden Stelle kein Aussichtsturm steht.

Nun, Jöhstadt hat bis zum Jahre 1906 einen Turm hier gehabt, wie ihn unser Bild zeigt. Er war seinerzeit vom Jöhstädter Erzgebirgszweigverein im Jahre 1894 errichtet worden und trug sehr dazu bei, den Fremdenzuzug zu fördern. Auf seine interessante Geschichte wollen wir im nachstehenden einmal eingehen.

Der Aussichtsturm bei Jöhstadt
nach einer Aufnahme von Albin Meiche-Annaberg im Mai 1894, kurz nach seiner Eröffnung. (Das Klischee stammt aus dem Ratsarchiv zu Jöhstadt.)

Es war am 24. Januar 1894, als der Erzgebirgszweigverein Jöhstadt in einer unter dem Vorsitz des damaligen Bürgermeisters Köhler abgehaltenen Sitzung im Hotel „Stadt Prag” (jetziges „Hotel Rathaus”) beschloß, auf der Jöhstädter Höhe im Westen vor der Stadt eine Aussichtswarte zu errichten. Schon lange war allseitig der Wunsch hierzu rege gewesen. Von den in jener Sitzung anwesenden Mitgliedern, die dem Plane ihre Förderung mit angedeihen ließen, seien u. a. genannt: Dr. Ritter, Kaufmann Adolf Jahn, Schuldirektor Schmidt, Kantor Wohlfarth, die Lehrer Köhler, Scherzer und Richter, Apotheker Leisching, Schuhmachermeister Franz Maschke, Kassierer Morgenstern, Kämmerer Böttrich, Stadtrat Rockstroh, Stadtrat Kaufmann Julius Lahl, Kaufmann O. Schubert, Kollekteur Rockstroh sowie Mühlenbesitzer Lorenz von Schmalzgrube. Zu dem gebildeten Turmbau-Ausschuß gehörten noch Fabrikant August Flader und Kaufmann Gustav Engst. — Nachdem durch allerlei Spenden ein Baufonds von 220 Mark zustande gekommen war, woran an Stiftungen der Erzgebirgsverein Chemnitz sowie zwei Jöhstädter ehemalige Sommerfrischler, die Kaufleute Oswald Räfler-Gera und Paul Räfler-Sonneberg, hervorragenden Anteil hatten, wurde der Rest der erforderlichen Bausumme durch etwa 60 Stück 5 Mark-Anteilscheine gedeckt. Bereits im Februar 1894 war das benötigte Bauholz, von der Stadt gestiftet, im Kommunwald geschlagen worden. Die Stadt stellte auch den Bauplatz zur Verfügung. Ausgeführt wurde der Bau vom Baumeister Anton Siegert und den Schmieden Egert, Hunger und Pomp. Zur allgemeinen Freude der Einwohner sah man gar bald das Bauwerk in die Lüfte ragen.

Am ersten Pfingstfeiertag, am 13. Mai 1894, fand die Weihe des neuen Aussichtsturmes statt. In stattlichem Festzuge zog man vom Marktplatz hinaus zur Höhe, unter Vorantritt des Stadtmusikchors. Der Turm war mit Fahnen, Girlanden und Kränzen festlich geschmückt. Über der Tür prangten das Stadtwappen und der Erzgebirgsgruß „Glückauf”, gemalt vom Maler Beckert. Nach einem Eröffnungsgesang des Gesangvereins hielt Bürgermeister Köhler die Weiherede, wobei er einen kurzen geschichtlichen Rückblick auf das Werden des Baues gab und allen Förderern des Werkes herzlich dankte. Außer dem vollzählig erschienenen Jöhstädter Verein waren bei der Feier anwesend die benachbarten Erzgebirgsvereine von Bärenstein und Pleil-Sorgenthal. Eine Reihe von Glückwunschtelegrammen wurde verlesen, darunter ein solches von Prinz Georg, Herzog zu Sachsen, aus Pillnitz, dem seinerzeitigen Protektor der Erzgebirgsvereine. Auch Seminaroberlehrer Dr. Köhler-Schneeberg, der Onkel vom Bürgermeister Köhler-Jöhstadt, telegraphierte herzliche Glückwünsche und „Glück auf” vom Direktorium des Erzgebirgs-Hauptvereins.

Zahlreich war die Einwohnerschaft versammelt und viele Auswärtige waren an dem Tage herbeigeeilt, um Zeuge der Eröffnung des Turmes zu sein. Braumeister Emil Blum hatte zur Bewirtung der Gäste in dankenswerter Weise einige Fässer „Jöhstädter Helles” gestiftet. Zum Schluß fand eine Nachfeier bei Nestler im „Schützenhaus” statt.

Der Aussichtsturm hatte eine Höhe von 12 Metern und war aus starken Kanthölzern stockwerkweise gebaut. Mit zehn eisernen starken Klammern war er im Grundsteinmauerwerk verankert. Der Turm stand genau zwischen dem alten Jöhstädter „Schützenhaus” (jetziges Landheim) und dem Marktplatz der Stadt, von beiden Punkten je 800 Meter entfernt, in 820 Meter über dem Meeresspiegel, und zwar etwa 12 Meter eingerückt links der Straße, wenn man in Richtung Jöhstadt geht. Der Schlüssel zum Turm war anfangs im „Schützenhaus” oder in Peters Restaurant „Felsenkeller” zu holen, später wurde an schönen Sommertagen eine Eintrittsgeld-Einnahme direkt am Turm eingerichtet. Die Aussicht bot ein Panorama, wie selten zu finden. Zehn sächsische und fünf böhmische Berge waren von hier aus zu sehen: Fichtelberg, Bärenstein, Scheibenberg, Auersberg, Kuhberg bei Schönheide, Schatzenstein bei Elterlein, Pöhlberg, Waltershöhe, Greifensteine und Hirtstein, sodann großer Spitzberg bei Preßnitz, Haßberg, Kupferhübel, Wirbelstein und Keilberg. Rechnet man noch den kleinen Spitzberg bei Rübenau hinzu, so grüßten außer den vielen kleineren Erzgebirgshöhen insgesamt 16 Berge den neugekrönten Bruder, die Jöhstädter Höhe.

Zehn Jahre lang wurde der Turm bis 1904 von Tausenden besucht, Hunderte von Schulklassen hatten ihn als Reiseziel erwählt. Der Jöhstädter Aussichtsturm war bald berühmt wegen seiner großartigen Fernsicht. Doch der Zahn der Zeit hatte am Gebälk des Turmes genagt, so daß er bald baufällig wurde, und von 1905 an gesperrt werden mußte. Besonders nach der Wetterseite zu (in Richtung „Morgensonne”-Cunersdorf) waren die Balken gefährlich durchgefault. Da der Turm bei starkem Winde schwankte und einzustürzen drohte, verfügte die Amtshauptmannschaft Anfang 1906 Abtragung der Aussichtswarte.

Am 6. März 1906 wurde der Turm auf Abbruch versteigert und es erstand ihn der Fleischer Langer von Jöhstadt. Just vor gerade 24 Jahren, im Mai des Jahres 1906 wurde der Turm eingerissen, nachdem vorher ruchlose Bubenhände versucht hatten, ihn abzubrennen.

So verschwand der Aussichtsturm auf der Jöhstädter Höhe von der Bildfläche und heute erkennt man nicht einmal die Stätte mehr, wo er einst gestanden. Pflug und Egge gehen jetzt darüber hin. Und mancher von der Jöhstädter jüngeren Generation wird beim Lesen dieser Zeilen mit Staunen vernehmen, daß sein Heimatort auch einmal einen Aussichtsturm gehabt hat.

Wie sehr das Vorhandensein eines Aussichtsturmes vermißt wurde, geht u. a. daraus hervor, daß der Fabrikant Anger von der Fa. F. A. Anger u. Sohn auf den Flurstücken 297a und 311 rechts der nach Weipert führenden Straße im Jahre 1907 ein Aussichtsgerüst errichten ließ, welches aber nur schwachen Ersatz bot und in der Zeit des Weltkrieges wieder abgetragen wurde.

D. K.