Die Annaberger Straßennamen.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 24, 13. Juni 1926, S. 6

Heimatkundliche Plauderei von Emil Finck.

(Fortsetzung.)

Noch ein anderer Umstand wendet die Aufmerksamkeit dem Kloster zu. Die trauliche Stille, die dort herrschte, ward zuweilen unterbrochen durch hohen Besuch, der dem Leben und Treiben in der Stadt eine veränderte Richtung gab. Der fürstliche Erbauer hatte eine ganze Zimmerflucht der Gebäude zu einem Absteigequartier für sich und sein Haus samt hohem Gefolge bestimmt und demgemäß ausgestattet. Und da er ziemlich oft und manchmal auch auf längere Zeit hier Hof hielt, so galt das Kloster mit voller Berechtigung als eine herzogliche Residenz. Das ist es auch verblieben, nachdem die Mönche ihm infolge Einführung der Reformation den Rücken gekehrt hatten. In der Kirche ward auch weiterhin gepredigt, und die leergewordenen Räume hat man versuchsweise eine Zeitlang als Münzstätte benutzt. Nach dem Brande im Jahre 1604 ist es als Fürstenhaus wieder instand gesetzt und auch wieder in Benutzung genommen worden. So im Jahre 1625, als Kurfürst Johann Georg mit seiner Familie 15 Wochen lang teils hier, teils in Wiesenbad und anderen erzgebirgischen Orten verweilte. Erst nach dem Brande im Jahre 1731 scheint es dem Verfall preisgegeben worden zu sein. So ward es zur Ruine. Aus dieser entstand 1802 ein Neubau, der zunächst als staatliches „Bergmagazin” in Benutzung genommen wurde. Nach ihm hat die Magazingasse ihre Benennung erhalten. Nach dessen Aufhebung diente das Gebäude als Oberforstmeisterei (1861), bezw. als Rentamt (1863) und Forstrentamt (1865). Seit dem Jahre 1872 ist es Amtsgebäude der von 1860 ab in Annaberg seßhaften Verwaltungsbehörde der Amtshauptmannschaft. Auf dem Gelände des ehemaligen Klosters haben übrigens auch noch das Amtsgericht seit 1869 und die Bezirkssteuereinnahme (1882) ihre eigenen Gebäude. So ist die Klosterstraße im wesentlichen zu einer „Amtsstraße” für Annaberg geworden.

Das Hospital zu St. Trinitatis, dem eine selbständige Kirche nebst Pfarrei und auch der allgemeine Friedhof für Annaberg mit Frohnau zu eigen gehört, ist das bekannteste Wahrzeichen der Stadt gegen Osten hin. Es ist im Jahre 1502 angelegt, später aber wiederholt erweitert und erneuert worden.

Nach öffentlichen Bildungsanstalten sind vier Straßenzüge benannt worden: der Schulberg, die Schulgasse, die Seminargasse und die Theaterfreitreppe. Der erstgenannte Name leitet von Osten her auf das alte Bürgerschulgebäude am jetzigen Zürcherplatze zu und ist gleichlaufend mit dem bereits genannten Kirchberge. Die Schulgasse dagegen führt ihre Bezeichnung nach der Realschule (dem jetzigen Realgymnasium), deren Grundstücke sie zum Teil begrenzte. Die Seminargasse läuft an der Rückseite des sogenannten alten Lehrerseminars unmittelbar hin. Die drei Benennungen erfolgten amtlich nach dem Volksbrauche im Jahre 1879.

Gar wechselvoll ist die Geschichte des eben genannten Hauses gewesen. Den westlichen Flügel erbaute 1835 der unternehmende Posamentier Anton Parzer als Fabrik seidener Bänder. Bald darauf kam dessen Besitz unter den Hammer. Da erstand das wohleingerichtete Haus des Bankier August Röhling, der es 1834 durch Anbau des Ostflügels vergrößerte und zu einer Seidenwirkerei nach dem Muster der Thilo & Röhlingschen (Amtsgerichtsgebäude) einrichtete. Er verarmte auch. Im Jahre 1852 stellte er den Betrieb ein und erhängte sich an der Stätte seines verfehlten Unternehmens. Da erwarb es 1853 der Staat. Nach erfolgtem Umbau ward es am 21. Oktober 1858 von dem Lehrerseminar bezogen, das seit dem 7. Januar 1842 bereits hier bestanden hat. Dieser Anstalt diente es bis Ostern 1900. Aber auch nach deren Umzug in den Neubau an der Logenstraße blieb es als Seminargebäude weiter in Benutzung, und zwar wurde bis 1903 das Stollberger, dann bis 1907 das Leipziger und später das Zwickauer Staatsseminar in ihm zur Entwicklung gebracht.

Die stattliche Theaterfreitreppe macht wegen ihrer zweckmäßigen und gefälligen Anlage auf fremde Besucher meist einen überraschenden Eindruck und wird daher von manchen zu den bemerkenswertesten Wahrzeichen Annabergs gezählt. Ihre Anlage erfolgte beim Bau des neuen Stadttheaters, das Ostern 1893 eröffnet wurde, doch hat sich die Vollendung im oberen Teile noch bis 1905 hinausgezogen. Der abschüssige, aber viel begangene Fußweg, der anstatt der Treppe vorher von der „Pforte” herniederging, hieß volksmundlich nach dem Gute, dessen Felder überschritten wurden (Zickzackpromenade 2), der „Benkertberg”. Auf dem Baugrunde des Theaters und seiner Nachbarhäuser stand von 1854 bis 1886 die ehemalige Gasanstalt, die ihren Betrieb mit Ende des Jahres 1884 einstellen mußte.

Für die Museumsgasse, die Logenstraße, die Schießhausgasse und die Turnergasse sind stadtbekannte Pflegestätten geselliger Unterhaltung bestimmend gewesen und zum Teil auch verblieben. Das ehemalige Gesellschaftshaus der 1814 gegründeten Museumsgesellschaft genießt noch jetzt als „Hotel Museum” besten Ruf, und die Konzerte, die während des Winter von genannter Gesellschaft im dortigen „Friedrich-Saale” veranstaltet werden, stehen gleichfalls in hohem Ansehen. (7) Die Freimaurerloge „Zum treuen Bruderherzen” erstand 1855. Ihr Heim wurde der „Genselgarten”, eine beliebt gewesene Wirtschaft mit Tanzsaal. Seit 1905 steht neben dem alten Hause (8) ein stattlicher Neubau. Das Schießhaus, jetzt „Schützenhaus” benannt, diente bis zum Jahre 1907 der „Freischützenkompanie” als verbriefte Schießstätte. Die Turnergasse führt ihren Namen nach dem an der Lindenstraße befindlich gewesenen Turnplatze des „Allgemeinen Turnvereins”. Dieser erbaute sich 1890 an der Parkstraße eine geräumige Halle für seine Veranstaltungen, während der vormalige Tummelplatz seitdem mit Häusern bebaut worden ist. (Lindenstraße 41, 43, 45, 45a und Parkstraße 1.)

Um die sogenannte innere Stadt herum zieht sich, den Spuren der Ringmauer folgend, ein fast geschlossener Kranz öffentlicher gärtnerischer Anlagen. Deren stimmungsvollster Teil reicht vom Wolkensteiner Tor bis ans Mühltor herab und heißt im Volksmunde nach dem Manne, der die Anregung zur Anpflanzung gegeben hat, Gerisch Ruh‘. Bis vor einigen Jahren sollen auch Schilder an den Zugängen die Benennung kundgegeben haben. Die stattlichen Baumreihen in der Nähe des städtischen Krankenhauses sind Zeugen des Alters (1855). Aber weder das Adreßbuch noch der Stadtplan haben den Namen festgehalten, doch ist auch eine andere Benennung bislang nicht erfolgt. Vom ehemaligen Frohnauer Tore zum Buchholzer hinauf läuft, an die dort noch gut erhaltene Stadtmauer sich anschmiegend, der schattige Promenadenweg. Die Fortsetzung bis zur Kleinrückerswalder Straße heißt nach der gebrochenen Wegführung Zickzackpromenade (Zick-Zack-Prom., angelegt 1827). Am Schutzteiche vor dem Böhmischen Tore breitet sich die Teichpromenade aus. Von dort weg führen die Parkstraße in das vielbesuchte „Stadtwäldchen”, das neuerdings als „Stadtpark” bezeichnet wird, und mit ihr gleichlaufend die Pöhlbergstraße hinauf auf den Pöhlberg, der seit 1896 einen Aussichtsturm nebst einem Gasthause trägt. Die beiden im Stadtpark gelegenen Waldwärterhäuser werden der Pöhlbergstraße zugezählt, von der sie freilich so weit abseits liegen, daß sie nicht gesehen werden können. So sind im ganzen sechs Benennungen in Rücksicht auf öffentliche Erholungsstätten erfolgt.

Elf andere bezeichnen das Lageverhältnis überhaupt oder haben Bezug auf weniger auffällige Anlagen. Die letzteren sind daher wohl nur den Ortskundigen ohne weiteres verständlich.

Die Mittelgasse hieß vor 1879 noch „Brauhausgäßchen”, wurde aber damals gemäß seiner Lage umbenannt, damit die Verwechslungen mit der Brauhausgasse vermieden würden. Das anstehende alte Brauhaus war ohnehin nicht mehr in Betrieb. Die beiden langen Kirchgassen werden in ihrem oberen Teile durch die Quergasse verbunden. Als deren Fortsetzung könnte beinahe die Pfortengasse angesehen werden, die durch einen Aufbruch (Pforte) der Stadtmauer den Weg nach Buchholz zu von der oberen Stadt aus wesentlich verkürzt. Ihre Benennung erfolgte 1863. In sie mündet der auf hohem Wall angelegte Weg ein, der vor seiner Aufschüttung (1856) und noch bis 1879 „Am Graben” oder mündlich „Schießgraben” geheißen ward, seitdem aber die Bezeichnung „Am hohen Weg” trägt.

(Fortsetzung folgt.)