Erzgebirgische Gebräuche zur Jahreswende.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 121. Jahrgang Nr. 1 vom 1. Januar 1928. S. 1-2

Eine Heimatsplauderei.

Den Jahreswechsel feiert die Bevölkerung unseres Erzgebirges vielerorts heute noch so, wie in alten Zeiten.

Der Silvestertag und mit ihm der Silvesterabend tragen ihren Namen nach Silvester I., der von 314 bis 335 Papst gewesen ist. Er soll den oströmischen Kaiser Konstantin getauft haben und starb am 31. Dezember 335; diesen Tag hat die römisch-katholische Kirche seinem Andenken geweiht.

Von den erzgebirgischen Gebräuchen am Silvesterabend ist zunächst zu erwähnen das allbekannte Bleigießen, dann Salzhäufchensetzen und das Schuhwerfen; das letztere zeigt (die Schuhspitze nach außen) Wohnungswechsel oder umgekehrt den Tod des Werfenden an. Die Zahl der im Ofentopf oder in der Esse erblickten Särge zeigt die Todesfälle in der Familie an. Hört man an einem Kreuzwege Kanonenschüsse oder Donner, so kommt Krieg. Ein Erntewagen (als Phantasiebild) bedeutet reiche Ernte, dagegen ein Leichenzug auf dem Dache des eigenen Hauses den Tod des Betreffenden, der ihn sieht. Für die Witterung des kommenden Jahres spielt der „Zwiebelkalender” eine große Rolle. In 12 Schüsselchen legt man halbierte Zwiebeln, die mit Salz überschüttet werden; die nach einer Stunde am meisten zusammengeschmolzene Salzmenge zeigt den nassesten Monat an.

Keine Lieferarbeit darf bis ins neue Jahr im Hause bleiben.

Um einen Gänserich, dem die Augen verbunden sind, stellt sich ein Kreis junger Mädchen; auf welches der Vogel zugeht, das wird die Braut des ihr zuerst begegnenden jungen Mannes u. a. m.

Mit dem Jahresschluß, Schlag 12 Uhr, beginnen die Glocken zu läuten; jedes Haus ist erleuchtet. Mancherorts gibt es noch Turmlautbrüdergemeinschaften, die das Neujahrsläuten besorgen, Freudenschüsse veranschaulichen den Kampf zwischen dem alten und dem neuen Jahre, Gesangvereine begrüßen das letztere, auf den Straßen und Gassen ertönt „Prost Neujahr”-Geschrei; Feuerwerk wird losgelassen — es ist ja „freie Nacht!”

In Bierstuben gibt es vielfach Punsch und Grog vom Wirt umsonst und daheim stoßen Freunde, Verwandte Bekannte beim Glockenschlage auf ein „Glückliches Neujahr” an. Man öffnet die Fenster, das neue Jahr hereinzulassen und die Nachbarn „anzuprosten”. Die leeren Gläser wirft man wohl auch zum Fenster hinaus. (Das soll „Glück bringen”, würde aber heute jedem eine Polizeistrafe eintragen und unterbleibt deshalb lieber!)

Zur Silvestermahlzeit gehören unbedingt Linsen, die viel Geld ins Haus bringen. Durch einen „Glückssprung” vom Tisch oder Stuhl auf die Diele sichert man sich ein glückliches Neujahr.

Der erste Tag im bürgerlichen Jahre ist seit 1700 in allen christlichen Ländern der 1. Januar. Schon im Altertum hatte er eine festliche Bedeutung, z. B. bei den Juden als Geburtstag Adams. Die Perser feiern beim ersten Sichtbarwerden der Sichel des zunehmenden Frühjahrsmondes ihren „Naurus” und beschenken sich. Die römischen Kaiser verlangten – wie später auch die Regenten Persiens in ihrem Reiche – am Jahresbeginn ihren Tribut von den Bürgern und Einwohnern Roms, und Caligula trat sogar in eigener Person vor die Tür seines Palastes, um Neujahrsgeschenke entgegenzunehmen. Das römische Volk opferte dem Janus, dem Gotte der Zeit. Auch die alten Deutschen kannten die Sitte der Neujahrsgeschenke, die sich besonders in Bayern am längsten erhalten hat. Diese Geschenke, die insbesondere auch Geistliche von ihren Parochianen, Ärzte von den Apothekern usw. erhielten, kamen nach und nach ab oder wurden wohl auch durch den aufkommenden Brauch der Weihnachtsgeschenke verdrängt. Nur in Frankreich und Belgien treffen wir sie noch an.

In Annaberg fanden bis weit in das vorige Jahrhundert hinein „Neujahrsumgänge” des Kantors, des Kirchners, Ratsdieners, Gerichtsdieners, Beifrons, Marktmeisters, Bettelvogts, Röhrmeisters, der Wasserleute, Nachtwächter und – bis in die 80er Jahre – der Schornsteinfegergesellen statt. (Siehe auch das Gedicht „Die Neujahrsgratulanten” von Grund, auf Seite 4.) Früher nahmen auch die Geistlichen an diesem Umzuge teil, für die diese Einnahme einen gewissen Teil der Besoldung bildete. Die leidige Gepflogenheit kam aber vor reichlich 50 Jahren durch Festsetzung der Gehälter glücklicherweise ganz ab. — Auch Kinder gingen gratulieren, um einige Pfennige zu gewinnen; sie trugen dabei Verse vor, wie z. B.:

Ich bie dr klaane Dicke
Un ho net viel Geschicke,
Un wenn S‘ mr woll’n en Dreier gaam,
Do winsch ‚ch Se aa e langs Laam. —

Der Ursprung der „Neujahrswünsche”, die jetzt in ausgedehntem Maße durch Post- und Visitenkarten vermittelt werden, ist bei den Römern zu suchen. Die öffentlichen Magistratspersonen nahmen schon in den ältesten Zeiten feierliche Empfänge vor, die aber nicht, wie anderwärts, von Geschenken der Besucher begleitet, sondern nur auf Zeremonie und Beglückwünschung eingeschränkt waren. Dieser Brauch ging aus dem Heidentum in das Christentum über, und da er nicht bloß, wie anfänglich, an den Grenzen einer Ehrfurchtsbezeigung stehen blieb, so wurde er mit der Zeit zu einer wahren Last, besonders in Deutschland, wo man ihn mit großer Pedanterie betrieb. Die Sitte, gedruckte Neujahrswünsche zu versenden, war bereits in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts im Schwange, nahm aber nach und nach wieder ab, bis sie mit den Ansichtskarten wieder aufkam.

Auch der Aberglaube fordert zu Neujahr seine Rechte. Wer in der Neujahrsnacht etwas verkehrt anzieht, dem gehts das ganze Jahr schief. Zerbricht man etwas, so zerbricht man viel im neuen Jahre oder macht trübe Erfahrungen. Gibt man viel Geld aus, hat man immer große Ausgaben. Hat man kein Geld, ist immer Mangel daran. Verborgen zu Neujahr bringt kein Glück. Unangenehmes erleben bringt Unglück. Fällt von vier aufgesetzten Salzhäufchen eins ein, so bringt das betreffende Vierteljahr Teuerung. Man stellt ein Licht auf die Fingerspitze und zählt, bis es herabgebrannt ist; die letzte Zahl ergibt den Rest der Lebensjahre. Wer frische Wäsche anzieht, bekommt Schwären. Wer Wäsche mangelt, dem mangelts das ganze Jahr an Geld.

„Ich wünsch Se aa e neies Gahr,
Das alte ist vergange;
Doß besser wärd, wie ’s alte war,
Meh ka mr net verlange.”

—cj—