Mit offenen Augen durch die Heimat.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 19, 132. Jahrgang, 7. Mai 1939, S. 1-2.

Plaudereien von Johannes Blochberger.

(2. Fortsetzung.)

Amboß und Hammer im Siegel.

Eines der heraldisch wertvollsten Gemeindesiegel des mittleren Erzgebirges fanden wir in Niederschmiedeberg, das sich als kleine Gemeinde mit 600 Einwohnern auf 57 Hektar Flur wunderschön ins Preßnitztal schmiegt. Auf angedeutetem Berg steht ein Amboß. Das Bild ist durch einen Hammer vervollständigt. Schmiede-, Hütten- und Hammerwerke haben hier nachweislich seit Jahrhunderten bestanden. Erkundungen im Hauptstaatsarchiv zu Dresden haben ergeben, daß schon 1545 von diesem wichtigen Erwerbszweig die Rede ist. Das Siegel ist seit 1927 im Gebrauch. Im selben Jahre wurde das Rathaus erbaut. Es zeigt seine schmucke Front von der Höhe herab zu Tal und zu den abertausend Fichtenwipfeln des Staatsforstreviers Großrückerswalde, das die kleine Talortschaft förmlich „in Grün erstickt”. Auch die 1906 errichtete Schule steht an günstiger stelle und hat ein sehr freundliches Antlitz. Aus ihm leuchten die bedeutsamen Worte: „Das Deutsche Reich ist ewig durch die deutsche Jugend!” den Niederschmiedeberger Buben und Mädel alltäglich entgegen. Die starke Industrie in dieser kleinen Siedlung wirkt weder unschön noch auffällig, da die waldige Umgebung, bis an die Fabrikfenster reichend, jeden düsteren Eindruck mildert. Es gibt hier nur zwei landwirtschaftliche Betriebe, dafür aber eine 250 Leute beschäftigende Papierfabrik und ein Pappenwerk mit etwa 20 Arbeitern. Die Stammarbeitersiedlung der Papierfabrik, 16 gute Wohnungen umfassend, hat einen ausgezeichneten Standort erhalten. Ihre Gärten ziehen sich, terrassenförmig angelegt, über den Hang bis ins Preßnitztal herab. Etwa hundert Volksgenossen kommen tagtäglich aus Arnsfeld, Großrückerswalde, Steinbach und Mauersberg zur Arbeit in das Niederschmiedeberger Großwerk.

Der Bürgermeister erzählt uns, daß jährlich 150 Übernachtungen von Fremden deutlicher Hinweis auf die landschaftlich hervorragende Lage des Ortes sind, daß man mit den Verkehrsanschlüssen zufrieden sei, aber eine Fortsetzung der Schmalspurbahn über die ehemalige Reichsgrenze bis zum sudetendeutschen Städtchen Preßnitz wünsche und erhoffe. Je eine halbe Stunde Wegs sind es bis zu den Autobussen der KVG und der Kraftpost.

Die Uhr am Türmchen der Schule schaut mit ihrem hellen Zifferblatt hinüber in den am Hang sich türmenden Wald. Freundliche Ausgeglichenheit strahlt der Anblick Niederschmiedebergs aus. Industrielle Regsamkeit ist eingeschmolzen in ein grünes Tal von Flußrauschen und Wipfelmelodien. Wir gehen ungern weiter!

Oberschmiedeberg, Waldort an der Preßnitztalbahn.

72 Hektar sind ein bedeutender Raum für 134 Einwohner. Er liegt abseits vom Lärm der großen Welt. Es scheint hier alles auf kleinste Maße und niedrigste Ziffern beschränkt zu sein. Zwar ist Oberschmiedeberg etwa 500 Meter lang — aber nur ein Erbhof liegt in seiner waldumschlossenen Gemarkung. Postalisch gehört es nach Steinbach und eigentlich nicht weggerückt von den übrigen menschlichen Behausungen steht die Schule dicht unter Fichtenkronen im Ortsteil Werkel. Eine Pappenfabrik, die das Material für Koffer herausbringt, beschäftigt 25 Leute und die Talstille an den Ufern der Preßnitz wird summend unterbrochen durch die monotone Stimme eines Sägewerkes. Die Höhenlage des kleinen Ortes — 520 Meter — deutet an, daß er, zumal bei der Nähe des weiten Forstes, von bester Luft durchweht ist. Keine hundert Meter führen zu einsamen Wegen, die den Gast bis tief in die stillen Freuden des erzgebirgischen Waldes einführen und stundenlang festhalten können. Noch hängt im Dörfchen das Plakat von der Annaberger WHW-Veranstaltung, bei der die Sensation eine Luftfahrt vom Turm zu St. Annen bis hinab zur Klosterstraße war. Der bunte Hinweis ist wie der Schrei der großen Stadt mit ihrem regeren Treiben herein in die trauliche Stille des Preßnitztales. Es ist nicht verwunderlich, daß sich in ihr KdF-Urlauber aus Dresden, Riesa, der Oberlausitz und aus Oberschlesien heimisch fühlten.

Kling … kling … kling klingelt die Kleinbahn durchs grüne Tal voll Wiesen und Wald. Eine geruhsame Pause macht sie auch auf der kleinen Bahnstation Oberschmiedeberg. Am Ostausgang des Dorfes braust der KVG-Bus vorüber. Ist sein Hupenruf und das warnende Glocken der Kleinbahnlokomotive verweht, dann ist wieder freundliche Ruhe im Orte. In allen Winkeln offenbart sich die Idylle des dörflichen Lebens und wo man steht und geht, überall atmen die Lungen frische und ozonreiche Luft. Man soll auch so eine kleine mittelerzgebirgische Siedlung im Walde nicht unterschätzen!

Freude über Vater und Sohn.

Es ist schon fast zwei Jahre her. Da sah ich im Dienstzimmer des Zöblitzer Bürgermeisters ein in Packpapier eingehülltes Etwas. Meine Neugier erzwang die Öffnung der Hülle. Was kam zum Vorschein? Ein holzgeschnitzter Quersackindianer. Er stammt aus den geschickten Händen eines Rübenauer Schnitzers. Ich faßte schon damals den Entschluß, den Mann in seiner kleinen Stube kennenzulernen, in der Umwelt, in der einem solche Volkskünstler am urtümlichsten und unbefangensten begegnen.

Jetzt endlich klopfe ich am Häusel Nr. 109 an. Der 56jährige Vater Karl Martin Engelhardt öffnet. Er ist geborener Rübenauer, lernte Holzdrechsler in Blumenau und blieb nach der Lehre in seinem Heimatdorf. Die Begabung, dem Holze der Fichte, Linde und der Alpe aus Ostpreußen und Polen etwas Rechtes und Sehenswertes abzugewinnen, liegt in der Familie schon seit Generationen und hat sich auch auf den 24jährigen Sohn übertragen. So schnitzen Vater und Sohn heute, beide auch mit starkem Zeichentalent begabt, wundervolle Dinge … Im Werkraum sehe ich davon. Wegweiser in der Altenberger und Geisinger Gegend entstammen dem Rübenauer Häusel. Was diesen Schnitzern in die Hände kommt, das machen sie und das bringen sie auch. Mit der Zeit ist eine dicke Sammlung von Bildern und Zeichnungen entstanden, Bildausschnitten aus Zeitungen und Zeitschriften. Der Sohn sieht in einem Schaufenster irgendetwas und mit wenigen Strichen hat er das Bild auf seinem Blatt. Die Entwürfe zu allen seinen Schnitzarbeiten fertigt er selbst. Für die Rübenauer Kirche hat er ein Bild auf Sperrholz gemalt, 2,50 x 1,10 Meter groß. Es zeigt den Heiland mit seinen Jüngern, durch ein Kornfeld schreitend. Als er das malte, war er achtzehn Jahre alt!

Sein Vater hat als Holzdrechsler nicht immer sein Schaffen so nach künstlerischen Motiven ausrichten können wie heute bei der Zusammenarbeit mit dem auf besonderen Geschmack bedachtem Sohn. Quersackindianer treffe ich keine mehr an. Der Vater hat ehedem vornehmlich Möbelteile gedrechselt, während des Krieges Schachfiguren, Eimer- und Möbelgriffe, hohle Dinge, wie Dosen usw. Der Großvater des jungen Schnitzers war Nagelschmied und der Urgroßvater Bauer. Beide versuchten’s an langen Winterabenden mit dem Basteln. Heute entstehen Anton Günther-Figuren und sehr stilvolle Leuchter, allerhand ergötzliche Gruppen, Tiere usw. unter Schnitzmesser und Rundsticheisen. Da ist ein solch‘ hölzerner Mann von einer Wespe gestochen worden und dabei stehen die launigen Worte: „Acht‘ nicht gering das kleinste Ding!” Im Werkraum — es ist eigentlich die „gute Stube” — hängen zwei Ölbilder: der Führer und Hermann Göring. Beide malte der junge Engelhardt im Alter von 16 Jahren … Das ganze Häusel ist erfüllt von freundlichem und heiterem Kunstschaffen. Überall begegnet es uns. Über der Zimmertür begrüßen sich ein Waldarbeiter und eine Frau mit dem Klöppelsack und auch das Namensschild neben der Haustür ist Eigenarbeit, in Holz natürlich.

Was hat der junge Engelhardt gelernt? — Zimmermann …

Seine Kunst ist seine Freude. Sie setzt jedem Alltag des Zimmermannes die Krone auf. Und da in Rübenau die Menschen scheinbar sehr alt werden können und dabei dennoch rüstig bleiben — der Hengst-Schneider wird im April neunzig und der Glöß-Karl, ehedem Nagelschmied, ist achtundachtzig —, so wünschen wir den im stillen Häuser schaffenden Künstlern ein ebenso langes Leben im vollen Glück ihrer freudespendenden Arbeit!

(Fortsetzung folgt.)