Wer kennt seine Heimat genau?

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 27, 4. Juli 1926, S. 5

Wo war das? Erläuterungen zu den Bildern der letzten Nummer.

Bild Nr. 22 zeigt uns die sogenannte „Schäfecke”. Von links nach rechts gesehen erblicken wir unten das Haus Wolkensteiner Straße 3 (Fleischermeister E. Göbel, früher dem Uhrmachermeister Huth gehörig) und darüber im Hintergrunde die Gebäude des alten Lehrerseminars. Rechts davon ist das „Schäfhaus”, Kleine Kirchgasse 1, mit dem charakteristischen früheren Aufgang. Vor etwa 100 Jahren gehörte es dem Postmeister Reiche, der es später an den Kaufmann Friedr. Aug. Rudolph (seit 1786 in Firma Kraut & Rudolph) verkaufte. Nach dem Umzug von dessen Sohn Walter Rudolph besaß es 1896 bis 1901 Gustav Zienert und seit 1902 der Kaufmann Carl Schäf, der es umbauen ließ. Bis zum Jahre 1541 befand sich im Hintergebäude des Grundstücks (nach dem zugesetzten Tuchmachergäßchen zu) die Fronfeste. — Weiter rechts sehen wir das jetzige Grundstück Kleine Kirchgasse 2, anstoßend daran das Gebäude Markt 2 und am Rande des Bildes den Flureingang der Löwenapotheke, deren geschichtlicher Teil bereits in Nr. 25 des I.E.S. gelegentlich des alten Marktbildes erwähnt wurde. Es ist interessant, dieses Marktbild von 1856 zum Vergleich heranzuziehen. Das Bild der Schäfecke stammt aus dem Jahre 1874 und ist eine Aufnahme des Annaberger Photographen F. W. Patsch. Schon nach 22 Jahren (1856 – 1874) zeigen sich wesentliche Veränderungen in den Häusern Kleine Kirchgasse 2 und Markt 2.

Wo war das? Bild Nr. 24

Wo ist das?

Die Ähnlichkeit des Rundfragebildes Nr. 23 mit Nr. 11 hat verschiedene Einsender irre geführt. Sie rieten auf Crottendorf. Das Bild Nr. 23 (Photo von Drogist Römmler, Crottendorf) bringt jedoch Neudorf. Um die Kirche gruppieren sich links davor: Kurt Reißig’s Gut, die sogenannte Fingermühle, rechts daneben: die Kirchschule, darunter Karl Mann’s Ww. Wohnhaus, rechts davon das Gut von Max Benedikt. Oben links am Bildrande steht die Pfarre, darunter Oskar Estel’s Wohnhaus an der Straßenkreuzung nach Crottendorf, jetzt Sanitätsdrogerie von Herbert Scherf. Vom Kaffee Bauer sieht man nur einen Teil. Daneben präsentiert sich das Haus von Willy Knorr, vordem Sattlermeister Karl Reißig’s Ww. gehörig. Dahinter sieht man das Haus von Tischlermeister Reißig. Fast von den Bäumen versteckt steht an der Kirchtreppe, Albin Reißig’s Haus. Ueber dem Dach der Petzold’schen Scheune, ganz im Vordergrunde, links: die Bäckerei von Richard Grummt, rechts: Otto Päßler’s Haus mit dem Kolonialwarengeschäft von Richard Tröger, neben diesem das Haus von Klempnermeister Rich. Tröger. Rechts auf dem Bilde sieht man von oben nach unten gerade noch das Beamtenwohnhaus der Firma Fr. Küttner, Hermann Illing’s Gut, die Häuser von Max Kupfer und Tischlermeister Karl Bauer, sowie das Gut von Guido Petzold.

Aus der Geschichte von Neudorfs Kirche

dürften nachstehende Angaben von besonderem Interesse sein.

Neudorf, das ungefähr um 1500 mit der Gründung der nahen Bergstädte Annaberg-Buchholz aus den Ruinen des alten (1427 von den Hussiten zerstörten) Kraxdorf wiedererstand, gehörte ursprünglich als eingepfarrte kirchliche Tochtergemeinde zum Amt Crottendorf. In den Tagen der Reformation belebte sich der kirchliche Sinn auch der Bevölkerung Neudorfs derart, daß sie sich im Jahre 1546 ein eigenes hölzernes Kirchlein erbaute und auch einen eigenen Pfarrer in das neuerrichtete, selbständige Pfarramt berief. Der erste Pfarrer des Ortes hieß Elias Enderlein. Er kam aus Weinberg (Weipert i. B.?). Nun wurde bald das hölzerne Kirchlein zu klein und man erbaute 1599 eine steinerne Kirche. — Nach einer Zeit fröhlicher Entwickelung nach innen und außen erfuhr auch Neudorf die Nöte und Drangsale des 30jährigen Krieges, namentlich in kirchlicher Beziehung. Bei einer Plünderung des Ortes durch kaiserliche Soldaten wurde im Jahre 1641 auch die neuerbaute Pfarre niedergebrannt. Später baute man sie — wie der Chronist berichtet, für 154 Thaler 3 Groschen 20 Pfennige — wieder auf. 1664 wurde in der Kirche die zweite Empore eingebaut, 1699 ein neuer Kirchturm mit zwei Glocken aufgesetzt und 1700 die Kanzel mit den Gestalten des Herrn und den vier Evangelisten gesetzt. Diese ist noch jetzt in ihrer ursprünglichen Form zu sehen. Im Jahre 1672 wurde die Kantoreigesellschaft gegründet, die vor 4 Jahren bereits ihr 250jähriges Jubiläum feiern konnte. Die „Neudorf’sche Kantoreiordnung” oder „Leges pro Choro Musiko Ecclesiae Neopaganae et Eiusdem Socielatis” geben ein wichtiges kulturhistorisches Bild der Zeit für den Kirchenmusikchor Neudorf und für deren Gesellschaft (Kantorei).

Im Jahre 1872 wurde das jetzige Geläute angeschafft, welches der Kirchgemeinde auch während des Krieges durch ein gütiges Geschick erhalten blieb. 1892 wurde das Pfarrhaus infolge eines bei Nacht ausgebrochenen Schadenfeuers eingeäschert und im nächsten Jahre wieder aufgebaut. Im Jahre 1902 schließlich ward die alte steinerne Kirche renoviert und mit Heizung und Beleuchtung versehen, 1912 mit einer Niederdruckdampfheizung. In dieser Gestalt zeigt sie sich uns noch heute.