Die alten Erzgebirgsübergänge.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 2, 126. Jahrgang, 08.01.1933, S. 1-2.

Von L. Ger-Augustusburg.

(1. Fortsetzung)

Der Geiersbergweg lief um 100 Meter höher auf das Gebirge als die Nollendorfer Heerstraße. Er ist mehrmals gesperrt gewesen und für den Verkehr mit Böhmen seit langem bedeutungslos.

In den 70er Jahren des zwölften Jahrhunderts wurde die Stadt Freiberg gegründet. Der Miriquidi war silberfündig geworden und viel Volk strömte in die Gegend, wo der Reichtum in den Erzgängen lag. Das verabscheute Miriquidiland bekam die Bezeichnung Erzgebirge und von Freiberg aus liefen bald vier Straßen in der Richtung nach Böhmen dem Erzgebirgskamme zu.

Über Dippoldiswalde geht eine Straße hinauf zum Mückenberg; sie führte einst in stürzendem Abfall nach dem Orte Graupen und dann in sanfteren Schwüngen nach Teplitz. Auf der Gebirgshöhe überschritt den Graupner Hauptweg ein Sträßlein, das vom Geiersberg her als Nebenweg über Altenberg und Zinnwald in das Teplitzer Tal leitete. Dieser einstige Nebenweg ist heutigentags ein Hauptweg geworden.

Der Mückenberg- oder Graupener Paß hat die Hoffnungen, die man einst auf ihn setzte, nicht erfüllt; er soll nur in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stark benutzt worden sein. In dieser Zeit ist er ein Hauptweg gewesen. Später wurde er, wie sein Nachbar, der Geiersbergpaß, vom Fahrverkehr, wegen der Schroffheit des Abfalls nach Böhmen hin, mehr und mehr gemieden. Den Wanderern der Jetztzeit aber ist er, im Gebiet seiner Zufahrtsstraßen sowohl als im Abfallgebiet bei Graupen, ein rechter Wonneweg geworden.

Westlich der Graupener Straße lief ein Zuführungsweg von Freiberg über Frauenstein zum Grabenpaß Moldau-Niklasberg. Von der Paßhöhe herab lenkte sich die Straße steil nach Klostergrab und weiter nach Dux und Bilin. Die heute von Moldau nach Teplitz ziehende Straße geht bis Klostergrab teilweise in den Spuren des alten Weges. Zum Schutz der alten Straße bereit lag die gewaltige Burg Frauenstein, deren hohe Ruinen noch jetzt eine unerhört wuchtige Bauweise erkennen lassen. Die Burg stellte den Wagenzügen Geleitsmannschaften bis nach Böhmen hinein, und auf ihrem Rückmarsche mögen diese Wächter wohl auch die aus Böhmen kommenden Handelszüge geleitet haben.

Im August 1632 rückte eine Truppenkolonne des Kaiserlichen Generals Holk von Böhmen her über Klostergrab nach Freiberg, Chemnitz und Zwickau. Der Zug endete auf dem Schlachtfelde von Lützen. Unterwegs, zwischen Freiberg und Chemnitz, in dem Städtchen Oederan, beging Holk eine gräßliche Untat. Bei der Brandschatzung der Stadt ließ er 500 Bürger von Oederan an Händen und Füßen gefesselt in einen großen Teich werfen und elendiglich ersäufen. Im November desselben Jahres, nach der Schlacht bei Lützen, zog Wallenstein an Klostergrab vorüber nach Teplitz, zu den Heilquellen.

Es gingen aber auch friedliche Züge über die Straßen, die von Freiberg über das Erzgebirge nach Böhmen leiteten, Handelszüge über Handelszüge. Die Stadt Freiberg, die, solange der Silbersegen sie strahlend besonnte, die reichste und wichtigste Stadt der meißnischen und später der kursächsischen Lande war, besaß ein eigenartiges Vorrecht: alle Wagen, die aus dem alten Meißner Gebiet nach Böhmen fahren sollten, mußten ihren Weg über Freiberg nehmen. Sie mußten! Und die Stadt Freiberg hatte großen Nutzen von der markgräflichen Verfügung.

Eine weitere, die Saydaer Straße, war schon vor der Gründung Freibergs vorhanden. Nur das Wegstück Freiberg—Großwaltersdorf war später der großen böhmischen Straße zuzusetzen. Die alte Zufahrt lief von Meißen und aus dem Altzeller Klostergebiet über Hainichen, Oederan, Eppendorf und Großwaltersdorf nach Sayda. In Eppendorf und Großwaltersdorf wurde hallisches Salz verkauft, vornehmlich an Händler in Sayda. Sayda war damals noch böhmisch. Von Sayda ging die Hauptstraße weiter über Purschenstein und Einsiedel, wo sie das Gebirge überstieg, nach Brüx. Zwischen Einsiedel und Jahnsdorf, wahrscheinlich am heutigen „Kreuzweg”, ging ein Seitenweg ab, der „Ossegger Steig”. Hier sehen wir die Wegeverbindung zwischen dem einstigen meißnischen Zisterzienser-Stift und Kloster Altenzella und der böhmischen Zisterzienserabtei Ossegg.

Über die Saydaer Hauptstraße gingen schon in sehr früher Zeit marktgräfliche reitende Posten.

Die Burgen Sayda und Purschenstein behüteten die große Straße. Purschenstein war eine Geleitsburg mit weiten, verteidigungsfähigen Höfen. Die stattlichen Wagenzüge konnten dort untergebracht werden. Die Burg hieß ehedem Borsenstein, nach ihrem Erbauer Borso von Riesenburg. Die Riesenburg liegt nahe der Abtei Ossegg, und die Riesenburger Herren waren es, die die Ossegger Zisterzienser aus dem Besitz des Landstrichs Ossegg-Sayda verdrängten, als sich der Silberreichtum des Erzgebirges offenbarte. Die Mönche besaßen aber trotz der Abdrängung von dem sächsischen Silber immer noch Silbergruben bei Klostergrab, und in Sayda durften sie eine Zollstätte behalten. In Klostergrab betrieben sie ein zweites Zollstellengeschäft, wie denn überhaupt alle Uebergangswege, auf böhmischem Boden wie auf sächsischem, mit Zollstellen reichlich besetzt waren, deren Erträgnisse allerdings nicht allesamt in die Taschen der Ossegger Mönche flossen.

Im siebenjährigen Kriege führte auf den Hängen des östlichen Erzgebirges ein preußischer Oberstleutnant geraume Zeit eine Art Kleinkrieg, hauptsächlich gegen die Oesterreicher. Der Führer tauchte mit seinen Soldaten bald auf dieser, bald auf jener Übergangsstraße auf, überfiel die Oesterreicher, wo er nur konnte, legte den Städten in Böhmen wie in Sachsen Kontributionen auf und verzog sich nach solchen Taten auf die Kammhöhen. Im November 1759 plünderte der Oberstleutnant die Abtei Ossegg grausam aus.

Die vierte von Freiberg nach Böhmen gerichtete neuerbaute große Straße zog sich über Großhartmannsdorf, Pfaffroda, Olbernhau auf die Gebirgseinsattelung bei Katharinenberg, berührte nach der Absenkung vom Gebirge die böhmische Herrschaft Eisenberg und endete in Brüx. Brüx war am Südhange des Erzgebirges das, was Freiberg in Kursachsen darstellte: eine reiche Handelsstadt, von der belebte Straßen in das innere Böhmerland führten.

Über die Einsattelung bei Katharinenberg zog im Juni 1426 der kursächsische Heerbann von Freiberg aus gegen die Hussiten. Der wilde Ziska belagerte Aussig. Die feste Stadt, in der sächsische Truppen lagen, befand sich in ärgster Bedrängnis. Friedrich der Streitbare, der 1423 zur Belohnung seiner bisherigen Verdienste um die Zurückdrängung der Hussiten vom Kaiser Sigismund mit der sächsischen Kurwürde bedacht worden war, weilte auf dem Reichstage zu Nürnberg. Seine Gattin, die beherzte Braunschweigerin, hatte den Heerbann aufgerufen. 1106 schwergepanzerte kursächsische Ritter und an Fußvolk über 8000 Mann eilten gen Brüx, um sich am Südfuße des Erzgebirges zu sammeln und gegen die Hussiten vorzugehen. Die Feinde waren in eine riesige Wagenburg gezogen, die, westlich von Aussig, doppelreihig auf einem Hügel lag.

Ohne das Heer nach dem beschwerlichen Abstieg von den Bergen rasten zu lassen, unmittelbar aus dem Anmarsch heraus, ließ der Führer der Kursachsen, der Burggraf Heinrich II. von Meißen, angreifen. Der gewaltige Ansturm der Ritterschaft donnerte gegen die Wagenburg; ihr erster Ring wurde durchbrochen, dann aber sprühte den Panzerreitern unvermutet aus nächster Nähe vernichtendes Geschützfeuer entgegen, und die Hussiten stürzten sich aus dem zweiten Ring heraus auf die in Verwirrung geratenen Rittergeschwader. Mit eisernen, stachelbewehrten Dreschflegeln schlugen die hussitischen Kämpfer Mann und Roß zusammen. Die Niederlage der Deutschen war furchtbar. Nur wenige der Gepanzerten konnten sich dem mörderischen Getümmel entziehen. Manche der sächsischen Adelsfamilien verloren an der „Bihanj”, so hieß der Hussitenhügel, 20 und 30 ihrer Männer. Auch das Fußvolk erlitt schwerste Verluste. Das Aufgebot einer thüringischen Stadt, das aus nahezu 100 Bewaffneten bestand, blieb Mann für Mann auf dem blutigen Felde.

Zu einem echten und rechten Handelswege hatte sich im 17. Jahrhundert die große Straße entwickelt, die mit Zuführungen aus Nord und West von Leipzig über Altenburg nach Chemnitz führte und von Chemnitz weiterging durch das schwarze Holz und über Zschopau, Marienberg, Reitzenhain, Sebastiansberg nach Komotau, Prag und Wien. Bei Sebastiansberg überstieg die Straße das Gebirge — und sie tut das noch heute.

Über Sebastiansberg-Komotau durfte in alter Zeit hallisches Salz nach Böhmen gebracht werden. Das war eine Auszeichnung für die Straße und wurde ihr bescheinigt.

Die Fuhrleute jener Zeit waren besonders umsichtige, wackere Leute. Wochen-, ja, monatelang waren sie mit wertvollen Lasten unterwegs. An ihren Wegen lagen in richtigen Abständen ordentlich umfriedete Herbergen, mit Hufschmiede und Wagnerei. Was im Mittelalter für das Fuhrwesen die Geleitsburgen waren, waren im 17. Jahrhundert die biederen Fuhrmannsgasthöfe.

Ein „gesetzlicher” und vielbenutzter Weg über das Erzgebirge war durch Jahrhunderte auch der Paß von Preßnitz. Den böhmischen Teil der Straße konnte man im 13. und in den nächstfolgenden Jahrhunderten recht wohl als eine Paßstraße bezeichnen; die Benennung ist ja auch heute noch im Munde der Leute. — Der Höhenunterschied zwischen dem Scheitelpunkt der Gebirgsstraße und den Fluren am Egerfluß beträgt 700 Meter und der Steilabfall des Erzgebirges nach Süden wies in jenen Tagen keine Straße auf, die in mächtigen Schwüngen und Schleifen allmählich zu Tal führte, nein, die Wegbahnung ging ziemlich geradlinig und brachte den Reisenden in enge Talgründe.

(Fortsetzung folgt.)